Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/retzius1896-1/0110
92

Nach diesen kurzen allgemeinen Auseinandersetzungen gehe ich jetzt zu einer Darstellung der Windungen
und Furchen der Oberfläche des Palliums der Hemisphären des ausgebildeten menschlichen Gehirns über. Es
liegt über dieses morphologische Problem bekanntlich eine bedeutende Litteratur vor. Zahlreiche und ausgedehnte
Untersuchungen sind in den letzten vier Decennien ausgeführt worden. Seit den grundlegenden P'orschungen
von Gratiolet (1854) ist eine Reihe von grösseren, zusammenfassenden Arbeiten hervorragender Hirnanatomen
erschienen — ich nenne hier in erster Linie die von Pansch, Turner, Bischöfe, Ecker, Schwalbe, Giacomini,
Sernoff, Broca, Eberstaller, Cünningham und Dejerine. Dazu kommen noch die zahlreichen Untersuchungen
besonderer Gebiete des Menschenhirns und die Untersuchungen des Affengehirns, an welchen letzteren sowohl
mehrere der eben genannten, als auch andere Autoren — ich nenne hier v. A. Huxley, Flower, Mingazzini,
Waldeyer, Marchand, Johann Müller, Kükenthal und Ziehen — betheiligt gewesen sind.

Wenn man nun die Furchen- und Windungsanatomie des Menschengehirns eingehender studirt, so findet
man, class v. A. durch die ausgedehnten und sehr genauen Untersuchungen der späteren Specialisten — Giacomini
, Sernoff, Eberstaller und Cünningham ■— die meisten Partien des Palliums, sogar in den vorkommenden
zahlreichen Variationen, in eingehender Weise durchforscht worden sind. Jeder Nachuntersucher und Nachbe-
schreiber wird sich in Folge dessen in die bekannte, unbequeme Lage des Herkules am Scheidewege versetzt
fühlen: er muss entweder Alles von Neuem beschreiben, oder auch darf er nur die einzelnen Partien berühren,
in denen er bisher unbeachtete Sachen angetroffen hat, oder in Bezug auf welche er neue Anschauungen darzulegen
vermag. Wenn aber seine Arbeit nicht das Ziel hat, ein das ganze Gebiet umfassendes Lehrbuch zu
schreiben, sondern nur wissenschaftliche Beiträge zur Morphologie des Gehirns zu liefern, so ist es das einzig
Richtige den zweiten Weg einzuschlagen. Ich habe denselben der Hauptsache nach gewählt und werde von dem
schon Errungenen nur das Nöthige in so weit kurz zusammenstellen, als es für das Verständniss meiner Tafeln
und meiner eigenen Beiträge erforderlich oder nützlich sein kann.

Wie ich schon im Vorwort hervorgehoben habe, sind die bisher veröffentlichten Abbildungen über das
menschliche Gehirn im Allgemeinen wenig befriedigend. Die meisten sind sehr schematisch und nur für den
Unterricht bestimmt; in solchen trefflichen Werken, wie z. B. dasjenige von Eberstaller über das Stirnhirn, giebt
es eigentlich nur eine einzige Figur, eine laterale Ansicht des Gehirns, die aber auch schematisch gehalten ist.
Da nun der moderne Lichtdruck für die Reproduction von Abbildungen des Gehirns offenbar von grossem Nutzen
sein kann, so habe ich mich seiner bedient, um die in den Abbildungen des menschlichen Gehirns vorhandene
Lücke nach Möglichkeit auszufüllen. Da ich ferner erfahren habe, dass die bisher veröffentlichten Abbildungen
des Menschenhirns — auch die im Lichtdruck wiedergegebenen, z. B. die von Flatau — gar zu oft nach
schlecht gehärteten Präparaten angefertigt sind, so habe ich mich auch bemüht, möglichst nur sorgfältig und in
natürlicher Gestalt gehärtete Gehirne zur Wiedergabe zu benutzen. Durch meine seit 2x/2 Jahren angewandte
Methode, die Gehirne in der Lösung suspendirt zu härten, ist es mir gelungen, eine bedeutende Menge von
guten Präparaten zu bekommen. Es hat mich zwar viel Zeit gekostet, die Gehirne genau zu präpariren und, da
ich das Photographiren stets persönlich überwachen musste u. s. w., sie im Lichtdruck wiedergeben zu lassen.
Ich hoffe aber, durch die in mancher Hinsicht gut gelungenen Bilder die oben genannte Lücke in wesentlichein
Grade ausgefüllt zu haben. Vielleicht werden andere Forscher dadurch ermuthigt, auf dem eingeschlagenen Wege
fortzusetzen. Ein Organ von der Bedeutung des Menschenhirns verdient doch allseitig und gut in Bildern wiedergegeben
zu werden, wenigstens ebenso gut, wie die Schmetterlinge aus Borneo!

Was nun diese meine Abbildungen des Menschenhirns betrifft, so habe ich einige Gehirne in der Ansicht
von oben, in norma verticalis, dargestellt; die meisten sind jedoch in der Seitenansicht, in der Ansicht der
Hemisphären von der äusseren und inneren Seite her, und zwar entweder in der Normalstellung, oder schief
von oben oder von unten her abgebildet. Einige Gehirne sind auch von vorn und von hinten wiedergegeben.
Eine bedeutende Anzahl der Abbildungen betrifft indessen die Region der Insula und der Opercula, welche Region
ich, da sie im Ganzen zu wenig berücksichtigt zu sein scheint, etwas eingehender behandeln wollte.

Ferner versuchte ich auch, die Tiefen der wichtigeren Furchen und die versteckten Partien den Windungen
durch die Photographie wiederzugeben, und es liegen daher mehrere solche Abbildungen auf den Tafeln vor.
Leider erwies es sich als sehr schwer, die geöffneten Furchen in solcher Weise abzubilden. Bei der Härtung
in dieser Lage muss man die Windungen durch eingeschobene Baumwolle u. clergl. aus einander halten; dabei
entsteht durch den Druck sehr leicht eine Veränderung der Gestalt der Windungsflächen. Das Photographiren
des frischen Gehirns hat, wie ich mehrfach erfahren habe, ebenfalls seine Schwierigkeiten, indem das lose Gehirn,
wenn man es in der Luft photographirt, bei der Procedur zusammensinkt, so dass von ihm kein scharfes Bild


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/retzius1896-1/0110