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erhalten wird; wenn man aber unter Wasser photographirt, was mit gehärteten Gehirnen sehr gut gelingt, ma-
cerirt das Wasser schnell das von seinen Häuten befreite frische Gehirn, wodurch seine Oberfläche zerfetzt wird.
Bei der Wiedergabe der Furchentiefen und der Tiefenwindungen im Lichtdruck stösst man ausserdem auf die
Schwierigkeit, dass in der Tiefe der Furchen die Modellirung der Fläche in starkem Schatten liegt und im Bilde
oft nicht deutlich hervortritt. In vielen Fällen gelingt es gut, die Furchen und ihre Tiefenwindungen deutlicher
sichtbar zu machen, wenn man das ein paar Wochen in Chromkalilösungen (f Formalin) gehärtete Gehirn vor dem
Photographiren erst etwas in Wasser liegen lässt. Die inneren Theile, welche weniger gehärtet sind, schwellen
dann an, und die Furchen eröffnen sich von selbst. Auf meinen Tafeln sind mehrere solche Präparate im Lichtdruck
wiedergegeben.
In Betreff der Lichtdrucke will ich noch hervorheben, dass ich das Retouchiren der Negative und Bilder
von vorne herein verboten habe; nur in einigen Ausnahmefällen sind einzelne Risse der Hirnoberfläche, welche
irreführen und für kleine Furchen genommen werden konnten, wegretouchirt worden. Die meisten Fehler der
Präparate, wenn solche vorkamen, habe ich dagegen sein lassen, und jedenfalls ist in Betreff der Modellirung der
Oberfläche, der Windungen und Furchen, keine Retouche angewandt. Deshalb geben die Bilder im Ganzen sehr
natürliche Ansichten; sie bieten gewissermassen die Natur selbst dar, und man kann an ihnen, wie an den Präparaten
, Studien machen.
Bevor ich nun zu der eigentlichen Beschreibung der Furchen und Windungen des Palliums übergehe, werde
ich kurz einige Betrachtungen über ihr Entstehen im Allgemeinen anstellen, weil sie mir, wenigstens zum
Theil, die Erscheinungen zu erklären scheinen. Ich habe schon oben ein paar mal darauf hingewiesen, dass das
Ausbleiben einer gewöhnlich vorhandenen Furche oder einer Partie derselben zwischen zwei stärkeren Windungen,
durch welches eine Brückenwindung entsteht, zur Folge hat, dass in der Nähe, an der anderen Seite der Brücke'
eine andere Furche auftritt oder eine dort normal befindliche verstärkt wird. Ich verweise auf das eclatante
Beispiel hiervon, welches das in Fig. 4 der Taf. XXI abgebildete Gehirn aus dem 7. Monat giebt. Der rechte
Sulcus centralis ist hier weit medialwärts durch eine starke Brücke unterbrochen; dadurch ist der Gvrus post-
centralis eingeknickt worden und hinter der Brücke eine sehr tiefe Furche, die mediale Abtheilung des Sulcus
postcentralis, entstanden; in der anderen Hemisphäre zeigt sich nichts Derartiges. In Folge des Unterbrechens
des Sulcus centralis ist nach hinten von ihm eine Compensation eingetreten, eine cornpensatoriscJie Furche entstanden
. Ein ähnliches Beispiel, obwohl etwas weniger prägnant, indem es sich hier nur um eine Tiefenwindung,
eine tiefe Unterbrechung der Centraifurche handelt, bietet die Fig. 13 der Taf. XXII dar. Man vergleiche hier
die Verhältnisse in den beiden Hemisphären.
Eine solche Einwirkung bei dem Entstehen der normalen Furchen kann man oft auch an arideren Stellen
nachweisen. Die Prmcentraliurchen und die Postcent rali'urchen sind also im Allgemeinen aller Wahrscheinlichkeit
nach durch das Entstehen der Centralfurche, d. h. in erster Hand durch das Entstehen der CentraJwindungen
hervorgerufen worden. Eine sich stärker erhebende Windung giebt natürlicherweise nicht nur an einer, sondern
an beiden Seiten zu dem Entstehen einer Furche Veranlassung. Falls sich nun, wie die Centraiwindungen, beide
\\ iiUhingen gleichzeitig erheben, differenzirt sich zuerst und am stärksten die sie trennende Furche; die an ihrer
anderen Seite entstehende Furche entwickelt sich erst etwas später. Die Entwicklung der Central Windungen giebt
mithin zu dem Entstehen der Centralfurche Veranlassung, nachher entwickelt sich aus derselben Ursache nach
vorn von der vorderen Centraiwindung die Praßcentralfurehe, gewöhnlich in zwei Abtheilungen; nach hinten von
der hinteren Centraiwindung entwickelt sich in gleicher Weise die Postcentraifurche; beide Furchen werden aber
durch die vor, resp. hinter ihnen entstehenden Windungen und Furchen in verschiedener Weise modificirt, indem
sie durch dieselben scheinbar unterbrochen und gebogen werden (s. die Taf. XIII—XIX).
Durch die um das hintere Ende der Fissura Sylvii auftretende wallartige Erhebung des Operculum temporale
und des Operculum parietale, resp. des Gvrus supramarginalis, entsteht als Begrenzung der Wälle an der
anderen Seite derselben zuerst die obere Temporalfurche (Taf. XIII, Fig. 4 und 6; Taf. XXIV, Fig. 4 u. s. w.)
und bald nachher auch die Interparietalfurche, welche sich übrigens oft quer über das hintere Ende der Tem-
poralfurche stellt.
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