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Die Furchen des Stinüappens.
Die Fissura Sylvii,
An der Fissura Sylvii, welche zwar nach His von Anfang an als eine echte Fissur auftritt, indem sie die
Hirnwand einstülpt, sich in ihrer weiteren Entwicklung aber in mehrerer Hinsicht von den Fissuren und Sulci
verschieden verhält, unterscheidet Eberstaller den queren Stammtheil (Truncus ßssurce Sylvii = Vallecula Sylvii
von Schwalbe), welcher »in der Regel dem zwischen vorderer und mittlerer Schädelgrube vorspringenden Rande
des kleinen Keilbeinflügels entspricht.» Giacomini und Eberstaller haben die Aufmerksamkeit darauf gelenkt,
dass in einzelnen Fällen dieser Keilbeinflügelrand einige Millimeter nach vorn von der Sylvischen Fissur in einer
winkligen Einknickung der Orbitalfläche des Frontallappens liegt. Eberstaller fand diese Anordnung bei 200
Gehirnen 3 mal. Ich habe dieselbe vor einigen Jahren von dem Gehirn eines Lappländers beschrieben. Bei den
von mir jetzt untersuchten 100 Gehirnen finde ich sie stark ausgeprägt 3 mal beiderseitig, 2 mal nur auf der
einen Seite, ausserdem aber in mehreren Fällen in etwas schwächerer Ausbildung; im Ganzen fand ich diese Anordnung
also häufiger, als Eberstaller.
Was die von Meynert betonte Unterwachsung des Stirnhirns in dieser Region durch den Temporallappen
betrifft, so stimme ich Eberstaller's Angabe bei, der da sagt: »In der Regel deckt die Temporallappenspitze nur
die mediale Hälfte der Orbitalportion der unteren Stirnwindung.» An allen in natürlicher Form gehärteten Gehirnen
habe ich dies gefunden, indem bei diesen Gehirnen, wie bei denjenigen der meisten Affen, die Temporallappenspitzen
stark medialwärts umgebogen waren. Der Truncus fissura^ Sylvii zieht übrigens in der Regel zwischen
den hinteren Randtheil des Orbitalfeldes (vorn) und das Caput gyri hippocampi nebst dem Vorderende des Temporallappens
(hinten) hinein.
Die Fissura Sylvii propria (das äussere Hauptstück der Fissura Sylvii, Eberstaller; der Ramus posterior
s. horisontalis von Ecker u. A.) stellt die zwischen den an einander liegenden Opercula befindliche Spalte dar,
indem man als Fossa Sylvii die Grube, den Boden dieser Spalte, bezeichnet, in welchem die Insula versteckt liegt.
Die Fissur steigt stets, aber mit etwas verschiedener Biegung nach hinten-oben, empor (s. die Tafeln, auf denen die
Seitenansichten wiedergegeben sind). In der Regel steigt die Fissur zuerst stärker nach oben-hinten, neigt sich
dann etwas mehr der Horizontalebene zu, um am hinteren Ende wieder mehr anzusteigen, und theilt sich darauf (in
73 % der Fälle) in zwei Endäste, einen Ramus posterior ascendens und einen Ramus posterior descendens, welche eine
wechselnde Länge und Richtung zeigen. Die Variationen in der Länge und auch in der Richtung der verschiedenen
Theile der Fissur sind übrigens im Ganzen nicht besonders bedeutend, aber so mannichfach, dass es sich kaum
lohnt, eine eingehende Darstellung derselben zu geben. Eberstaller hat durch Messungen zu beweisen gesucht,
dass die Fissura Sylvii links durchschnittlich länger ist, als rechts und auch bei Weibern durchschnittlich länger,
als bei Männern. Cünningham fand sie ebenfalls an der linken Seite verhältnissmässig länger, als an der rechten,
ebenso auch länger beim Affen, als beim Menschen; dagegen konnte er die angegebene Differenz zwischen Mann
und Weib nicht nachweisen, sondern er fand, wenn wirklich eine Differenz vorhanden war, eher eine grössere
Länge beim Manne. Ich versuchte diese Messungen auch an meinen Gehirnen auszuführen, stand aber davon ab,
da, wie ich in vielen Fällen fand, die Ausgangs- und Endpunkte der Masse so wenig bestimmt ausfallen, dass
keine sicheren Resultate zu erlangen sind. Nach Eberstaller überragt die Fissura Sylvii, bevor sie in den Ramus
ascendens posterior umbiegt, die hintere Inselecke rechts durchschnittlich um 8, links aber um 16 Mm., was
mit der grösseren Länge der linksseitigen Sylvischen Fissur übereinstimmt, wogegen dieser Ramus rechts etwas
länger als links ist; er bildet, wenn vorhanden, mit der Fissur einen Winkel von durchschnittlich 112°. Aber auch
in dieser Hinsicht habe ich eine sehr grosse Wechselung gefunden. Eberstaller findet in der Abknickung und Kürze
der Sylvischen Spalte ein antropologisches Merkmal, in der grösseren Länge hingegen eine Rückfallsbildung;
bei Berücksichtigung der Verhältnisse bei den niederen Affen kann diese Ansicht auch berechtigt erscheinen.
CüNNINGHAM mass den Winkel, den die Fissura Sylvii mit einer rechtwinklig zum längsten Diameter antero-
posterior des Gehirns gezogenen Linie bildet; er fand zwar eine grosse individuelle Wechselung, doch war der
A\ mkel an der linken Seite durchschnittlich grösser, als an der rechten und eine Differenz zwischen dem Manne
und dem Weibe nicht vorhanden. Beim Affen ist der Winkel viel spitzer, als beim Menschen.
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