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ziehen. Da diese Windungen schon oben, zusammen mit dem Scheitellappen, beschrieben worden sind, werde ich
sie hier nur kurz erwähnen. An dem oberen Umfang, nach unten von dem Gyrus arcuatus parietalis posterior,
sieht man oft eine solche tiefe Brückenwindung, den Gyrus cuneo-prcecuneus superior, nach unten davon mitunter
noch eine oder zwei Windungen derselben Art und am unteren Cuneusende den bekannten, zuweilen ge-
theilten Gyrus cunei von Ecker. Dass durch das Auftreten des Lobulus parieto-occipitalis die Configuration der
Fläche complicirt wird, ist schon oben erwähnt worden und auch leicht verständlich.
Die untere Fläche (Superficies calcarina).
Die untere, der Fissura calcarina zugekehrte Fläche des Hinterhauptlappens ist gewöhnlich ihrer ganzen
Länge nach ausgehöhlt, indem der ihr dicht anliegende Gyrus lingualis hier gewölbt ist; zuweilen hängt sogar
der Cuneusrand eingerollt über die Spalte hinab. Fast immer giebt es hier am Boden der Fläche eine Furche
gegen den Occipitallappen hin, welcher bei noch stärkerer Hervorwölbung in sagittaler Richtung als eingerollt
erscheint. Cunningham, welcher die tiefen Brückenwindungen der Fissura calcarina eingehender untersucht hat, hebt
hervor, dass solche Windungen hauptsächlich an zwei Stellen vorkommen, und zwar theils in der Nähe des hinteren
Endes der Fissur, theils am Uebergang der eigentlichen Fissur in ihren Stammtheil. An der ersten Stelle
giebt es eine tiefe Brückenwindung hinüber zum Gyrus lingualis, die von Cunningham als Gyrus cuneo-lingualis posterior
bezeichnet worden ist, und auch an der zweiten Stelle findet sich eine solche Windung, welche Cunningham
Gyrus cuneo-lingualis anterior genannt hat. Die erstere kommt nach diesem Forscher so häufig vor, dass er sie
nur in 10 % der von ihm untersuchten Hemisphären vermisste und auch die letztere fehlte nur in 7.8 % derselben.
Ich habe diese Verhältnisse ebenfalls untersucht und die von Cunningham beschriebenen Brücken-
Avindungen hin und wieder, aber im Allgemeinen schwach ausgeprägt und nicht so oft vorkommend in den von
mir untersuchten Hemisphären gefunden. Gut ausgebildet fand ich auch solche Brückenwindungen halbwegs
zwischen der Uebergangsstelle zum Stamm und dem Hinterende der Fissur. Im Ganzen kann ich sagen, dass
diese Fissur auffallend frei von Tiefen- und Brücken Windungen ist.
Indessen kommen jedoch Fälle vor, wo solche Windungen an die Oberfläche treten (Taf. LXV, Fig. 1).
Nach Cunningham tritt der G}7rus cuneo-lingualis posterior in 31.5 % der Heinisphären und der Gyrus cuneo-
lingualis anterior in 2.3 % derselben an die Oberfläche. Cunningham hat auch die verschiedenen Combinationen
studirt, in welchen die Brückenwindungen dieser Fissuren vorkommen können und dabei gefunden, dass das gewöhnlichste
Verhalten, welches er auch deshalb als normal bezeichnet, dasjenige ist, wo alle die genannten Brückenwindungen
zwar vorhanden, aber in der Tiefe der Fissuren versteckt sind; dieses scheint in 33.8 % der Hemisphären
vorzukommen.
Ausser den hier oben angeführten Variationen erwähnt Cunningham folgende: Oberflächlichsein des Gyrus
cuneo-lingualis posterior und Fehlen des Gyrus cuneo-praecuneus superior bei Tiefbleiben der übrigen Brückenwindungen
in 15.7 %\ dasselbe Verhalten, aber bei Tief bleiben des Gyrus cuneo-lingualis posterior; Vorhandensein
aller Brückenwindungen, aber Oberflächlichsein des Gyrus cuneo-lingualis posterior in 9.4 %\ Vorhandensein des
Gyrus cunei und des Gyrus cuneo-lingualis posterior bei Fehlen des Gyrus cuneo-lingualis anterior (und des Gyrus
cuneo-prascuneus superior) in 7.8 %\ Fehlen des Gyrus cunei und Vorhandensein der beiden Gyri cuneo-linguales
in 3.i %. Ausserdem erwähnt er drei seltene, aber interessante Zustände, nämlich erstens eine Verlängerung des
Truncus fissuraa calcarina3 zwischen einem oberflächlichen langen Gyrus cunei und einem tiefen Gyrus cuneo-
lingualis hoch oben auf dem Cuneus; zweitens die Theilung der Fissura parieto-occipitalis in zwei Fissuren durch
Erhebung des Gyrus cuneo-praecuneus superior (G. intercuneatus, Cunningham) an die Oberfläche bei Fehlen des
Gyrus cuneo-lingualis anterior; drittens vollständige Unterbrechung der Fissura calcarina durch Oberflächlichsein
der beiden Gyri cuneo-linguales.
Cunningham hat ferner, wie oben erwähnt wurde, auf Grund seiner Untersuchungen, v. A. am foetalen
Menschenhirn und am Affenhirn, die Ansicht ausgesprochen, dass der Stammtheil und die hintere Abtheilung der
Fissura calcarina (Sulcus calcarinus posterior, Cunningham) morphologisch ganz verschiedener Art seien, indem sie
nicht nur aus zwei verschiedenen Theilen entstehen, sondern auch die hintere Furche keine totale Faltung der
Hirnwand bildet und bei den Affen die vorhandene Fissura calcarina nur dem Truncus der Fissur des Menschen
entspricht.
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