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eine statistische Uebersieht derselben würde ohne Zweifel in mehreren Beziehungen werthvoll sein. Die
Schwierigkeit, die Farbenklassen zu bestimmen, zu begrenzen und anzugeben ist aber zu gross, als dass eine
solche Untersuchung mit zuverlässigen Ergebnissen ausgeführt werden könnte. Bei unseren hier mitgetheilten
Untersuchungen, welche übrigens von mehreren Personen ausgeführt worden sind, — sind der schon
erwähnten Ursachen wegen keine Angaben über die Hautfarben gemacht worden. Unsere Blankette (die
Primärtabellen) haben deshalb nur Angaben über die Farben der Augen und der Haare.
Ein gutes und sicher bestimmtes Untersuchungsmaterial von den Farben zu erhalten ist im Ganzen
eine der schwierigsten Aufgaben der Anthropologen gewesen. Weil alle möglichen Uebergänge zwischen den
Farben vorkommen und eine Farbe unter verschiedenen Umständen und in verschiedener Beleuchtung wechseln
kann, ist es eigentlich ganz unmöglich, eine Pigmentskala mit grösserer Anzahl von Farbenklassen aufzustellen
, ohne dass Unregelmässigkeiten von den Untersuchern bei ihren Farbenbestimmungen gemacht werden
könnten.
Die Farbenskalen und Farbenklassen der verschiedenen Autoren und Untersucher sind auch sehr
wechselnd, wie am besten aus der Uebersieht hervorgeht, die uns Livi !) in seiner Arbeit »Antropometria
militare» liefert, und doch sind nach dem Erscheinen von Livis Werk die Farbenskaleji noch vermehrt worden.
Ein solcher Eeichthum der Bezeichnungen macht eine Vergleichung zwischen den Ergebnissen der
verschiedenen Untersuchungen, oder, was ungefähr dasselbe ist, zwischen den verschiedenen Völkern, sehr
schwierig, ja in den meisten Fällen unmöglich.
Die verschiedenen Augen- und Haarfarben sind indessen So wichtige liassenmerkmale, dass man dieselben
in einer anthropologischen Untersuchung nicht gut entbehren kann, und wenn auch die Bestimmung
einer Farbe als subjectiv nur approximativ richtig ist und. also nicht absolut sicher sein kann, so kann doch
durch verschiedene Behandlung, wie z. B. durch Zusammenfallenlassen zweier nicht gut begrenzten Farbenklassen
zu einer besser begrenzten, ihre Exaetheit gesteigert werden. Dadurch wird ein Material erhalten,
das bei Vergleichungen zwischen den übrigen Farbenklassen und mögÜcherweisse mit derselben Farbe in verschiedenen
(xegenden, bei verschiedenen Völkern u. s. w. mit grösserem Vortheil angewendet werden kann.
Von grösster Wichtigkeit bei einer anthropologischen Untersuchung ist, wie aus den Capiteln über
die Körper- und Kopfmaasse hervorgeht, dass das Untersuchungsmaterial homogen und nicht nur von demselben
Alter, sondern auch reif und ausgewachsen ist. Deshalb sind die Untersuchungen am werthvollsten,
die an Menschen in dem Alter ausgeführt sind, in welchem die Farben bereits einen für die Augen und
Haare typischen Pigmentgrad erreicht haben. Eine grosse Schwierigkeit liegt indessen darin, ein solches
Alter anzugeben und zu wählen. Verschiedene Rassen so wie auch verschiedene Individuen derselben Rasse
sind in ganz verschiedenem Alter reif oder ausgewachsen, so dass es eigentlich nicht möglich ist, ein vollständig
gleichmässiges Material für Maasse und Farben zu bekommen.
Wir wissen wohl, dass sich die Haarfarben und gewissermaassen auch die Augenfarben mit dem Alter
verändern, oder wie Virchow sich ausdrückt: »Jedes einzelne Individuum besitzt die Anlage zu stärkerer
Färbung». — Peitzner 2) sucht indessen in seinen »Socialanthvopologisclien Studien» eine genauere Kenntniss
zu erhalten, wie die Pigmentirung bei einem Menschen mit den Jahren sich vermehrt und ob und wann
dieselbe eine Stabilität erreicht. Seine Untersuchungen sind hauptsächlich, aber nicht ausschliesslich an der
ansässigen Bevölkerung von Unter-Elsass und vor allem von Strassburg im Alter von einem Monat bis zu
96 Jahren gemacht. Aus seinen Tabellen meint er schliessen zu können, dass ein Vergleich zwischen den
Haarfarben zweier Bevölkerungen nur zulässig ist, wenn das Untersuchungsmaterial einem Lebensalter von
ungefähr 40 — 50 Jahren entstammt, Aveil die Haare ihre schliessliche Farbe oder Dunkelkeit nicht früher erreicht
haben und späterhin die speciellen Uebergänge in sehr verschiedenen Tempi »ausgemerzt» werden.
Pfitzner nimmt dagegen an, dass die Irisfarbe während des ganzen Lebens constant bleibt.
Wie interessant die PprrzNER'schen Untersuchungen über dieses Gapitel auch sein mögen, so kann man
meiner Ansicht nach doch keine so bestimmten und allgemeingültigen Schlüsse aus denselben ziehen. Erstens
1) Ridolfi Livi, Autropometria militare. Roma 1898.
2) W. Pfitzner, Der Einfluss des Lebensalters auf die anthropologischen Charactere. -Social-anthropologische Studien T.
Zeitschrift f. Morphologie und Anthropologie. B. I. 1899.
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