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Die Augen- und Haarfarben können also durch verschiedenen Pigmentreiehthum die Herkunft und Zusammengehörigheit
der Besitzer mehr oder weniger bestimmt andeuten und als Bassenkennzeichen in vielen Fällen
mit Vortheil angewendet werden. Deshalb ist es nothwendig, für die einzelnen Farben bestimmte und, so
weit möglich, begrenzte Bezeichnungen in einer Klassenskala aufzustellen, um die Beobachtungen der verschiedenen
Völker vergleichen zu können. Je mehr Klassen in eine solche Skala aufgenommen werden, desto
schwieriger wird es natürlich, diese Klassen genau zu bestimmen und desto unsicherer werden die einzelnen
Farben und überhaupt die Beobachtungen.
Die Farbenbezeichnungen unserer Untersuchungen oder unsere Farbenklassen in den Primärtabellen
sind folgende:
Für die Augen: 1. Blau, 2. Grau, S. Melirt, 4. Braun.
Für die Haare: 1. Gelb, 2. Cenäre, S. Braun, 4. Schwarz, 5. Roth.
Die Bestimmung und Begrenzung der einzelnen Farben sind in -der als Beilage der Einleitung dieser
Arbeit mitgetheilten Instruction der Untersucher angegeben.
Bei einer so umfassenden Untersuchung wie der unserigen ist es eigentlich nicht möglich, immer der
Instruction genau zu folgen, und es sind nicht wenig Anlässe zu unregelmässigen Beobachtungen vorhanden.
Der eine Beobachter schätzt die Farben nie ganz so wie der andere. Den einen Tag hat man Sonnenschein,
den anderen Regen. Auf Kriegsschiffen und in Seefestungen mussten oft die Untersuchungen nothwendig im
Freien gemacht werden, und in verschiedener Beleuchtung werden die Augen- und Haarfarben nicht gleich
farbengesättigt gesehen. In eine heikle Lage versetzt fühlt sich gewiss jeder Beobachter, wenn z. B. eine
ganze Compagnie zur Untersuchung vorgeführt wird, deren Haar vor Kurzem mit Haarschneidemaschinen
geschnitten worden ist, und man der Schwierigkeit gegenüber steht, die Haarfarbe nach 1, 2 ä 8 Millimeter
langen »Haarstoppeln» zu beurtheilen. Dann helfen weder Haarproben noch andere Vergleichungsmittel.
Die grösste Schwierigkeit und deshalb auch die grösste Unsicherheit hat für unsere Untersucher
darin bestanden, blaue und graue Augen und gelbes und cendrees Haar zu unterscheiden. Die Zuverlässigkeit
besonders dieser Farbenklassen und ihrer Begrenzung ist also nicht gross. Ich glaube deshalb darin
Recht zu haben, dass das gelbe und cendree-füvh'ige Haar zu einer Farbenklasse Blond zusammengefasst werden
muss. In derselben Weise lassen sich auch die blauen und grauen Augen am angemessensten zusammen als eine
Klasse, nämlich als helle Augen auffassen. Hierdurch wird gewiss die subjective Auffassung der Untersucher
stark reduziert. Für die Bearbeitung des Materials ist es auch bequemer, weniger (Truppen zu behandeln
zu haben. Die Tabellen deuten an, dass die Untersucher nicht immer mit Sicherheit die Grenzen zwischen
grauen und mehrten Augen und gewiss noch weniger zwischen cendreefarbigen und braunen Haaren haben
bestimmen können. Doch scheint es, dass die Fehler der Schätzung in den allermeisten Fällen keine grössere
Bedeutung für die Ergebnisse gehabt haben.
Livi giebt, wie gesagt, in seiner Antropometria militare eine Uebersicht über die Farbenschemata oder
die Farbennamen der anthropologischen Forscher. Ausser diesen neun Schemata haben er selbst und später
andere Forscher, wie Ammon ') und Peitzner, noch weitere Schemata publicirt, die auch von den vorigen und
unter einander etwas verschieden sind. Unser ursprüngliches Schema enthält gewiss Farbennamen für Augen
und Haare, die mit einigen der vorigen Untersuchungen Ähnlichkeit haben. Eine vollständige Uebereinstimmuiig
zwischen dem einen und dem anderen der älteren oder neuen Farbenschemata existirt aber überhaupt nicht.
Untersuche ich die Definitionen der Farben bei einigen Anthropologen näher, so finde ich doch Ueberein-
stimmungen und also eine Möglichkeit zur Vergleichung zwischen denselben und unseren Untersuchungen,
besonders wenn ich das obenerwähnte Zusammenfallenlassen der beiden Augen- und Haarklassenpaare durchführe.
Ich erhalte wenigstens durch eine solche Behandlung unserer Farben ein Haar- und Augenfarbenschema, das
nicht nur mit den Pfitznek sehen zusammengefassten Gruppen, sondern auch mit den umfassenden, schönen
Untersuchungen über die Italiener von Livi und über die Badener von Ammon ganz gut übereinstimmt.
Der italienische »Foglio sanitario», den jeder Soldat besitzt, nimmt für die Augen vier Farbenrubriken
auf, nämlich celesti, grlgl, eastagni und neri. Wenn wir keine schwarzen Augen kennen und, wie Livi an-
'} Otto Ammon. Zur Anthropologie der Badener. Jena 1899
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