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zelne Bewegung nach einer Ursache dieser Beschleunigung
zu suchen, den Tatbestand umdrehen und sagen: nicht die
Geschwindigkeit der Bewegungen hat sich verdoppelt, sondern
die Zeit läuft nun doppelt so schnell. Dabei muß man unter
Zeit die Schnelligkeit des Weltenlaufes verstehen. Versteht
man hingegen unter Zeit das Zeitmaß allein für sich, so muß
man sagen: die Zeit läuft doppelt so langsam. Denn je mehr
sich das Zeitmaß ausweitet, also je länger es absolut gesprochen
wird, z. B. indem es zu einer Stunde zwei absolute
Stunden braucht, umso eine größere Wegstrecke können die
Bewegungen, wenn ihre Geschwindigkeit absolut gleich bleibt,
in der neuen längeren Zeiteinheit zurücklegen und umso
größer wird daher ihre Geschwindigkeit erscheinen.
Wie sollte es aber möglich sein, daß nur die Geschwindigkeit
der Zeitmesser allein, nicht aber gleichzeitig auch andere
Bewegungen beschleunigt werden. Denn sind nur die Uhren
Zeitmesser, so hängt deren Geschwindigkeit von der Geschwindigkeit
der Pendelschwingungen ab und diese, ebenso
wie fast alle anderen Bewegungen, von der Schwerkraft
der Erde.
Es ist daher, solange wir kein absolutes Zeitmaß haben,
ganz unmöglich festzustellen, ob sich der Zeitfluß als ganzer
beschleunigt oder verzögert. Er kann für uns ihn Erlebende
gar nicht anders als gleichmäßig sein, wobei allerdings vorausgesetzt
wird, daß das Verhältnis aller Geschwindigkeit
untereinander gleich bleibt bezw. genauer ausgedrückt zwischen
den verschiedenen Bewegungen eine gewisse Gesetzmäßigkeit
besteht. Umgekehrt würde eine vorhandene Gesetzmäßigkeit
sofort aufgehoben werden, wenn die Zeit nicht
gleichmäßig abfließen würde. Wir können daher, indem wir
uns den Gedanken der Relativität zu Nutzen machen, die
Sache umkehren und sagen: Zeit garantiert, erhält die Geschwindigkeiten
der Bewegungen, die funktionelle Abhängigkeit
der Geschwindigkeiten untereinander; Zeit ist die Erhaltung
der Balance der Geschwindigkeiten, Zeit ist die Kom-
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