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ponente aller Geschwindigkeiten, Zeit ist, genau so wie die
Masse, eine Unbekannte, die es uns ermöglicht, zwischen
den verschiedenen Bewegungen eine gesetzmäßige Abhängigkeit
herzustellen. Daher scheint mir der Gedanke widersinnig
, daß man diese gesetzmäßige Abhängigkeit durch Aufhebung
der zeitlichen Einheit erreichen könnte. Zwei Bewegungen
haben verschiedene Zeit, kann nur heißen, daß sie
zwei völlig getrennten Systemen angehören, zwischen denen
gar keine Verbindung, gar keine Einheit besteht.
Das für die Möglichkeit der Relativität angeführte Beispiel
, wonach ein Zwillingspaar, das an verschiedenen Orten
aufwächst verschieden rasch altern könnte, bekräftigt nur
unsere Ansicht. Wenn an jenem entfernten Orte sich alles
doppelt so rasch bewegt, so muß das Leben auch Schritt
halten müssen und daher doppelt so schnell altern. Wenn
nun der schneller Gealterte zu dem Jüngeren zurückkehrt,
so werden sie das frühere Altern auf ein schnelleres Leben,
auf einen häufigeren Wechsel von Tag und Nacht, der Jahreszeiten
usw. zurückführen, denn zu verschiedenen Wirkungen
gehören auch verschiedene Ursachen. Wenn wir aber das
verschiedene Lebensalter auf die Verschiedenheit der Zeit
zurückführen, haben wir nichts erklärt, sondern die fragwürdige
Verschiedenheit aus sich selbst herausbegründet.
Welchen Sinn die Relativierung der Zeit hat, wird uns noch
klarer, wenn wir bedenken, daß wir den Unterschied der
Bewegungsgeschwindigkeiten an zwei verschiedenen Orten
auch auf die Verschiedenheit des räumlichen Maßes, also
auf die Relativität des Raumes als Ausdehnung zurückführen
könnten. Anstatt zu sagen, die Geschwindigkeit einer Bewegung
habe sich verdoppelt, weil die in der Zeiteinheit
zurückgelegte Wegstrecke doppelt so groß geworden ist,
können wir auch sagen, daß räumliche Maß ist kleiner geworden
, so daß die Wegstrecke doppelt so lang erscheint,
oder aber, der ganze Raum ist mit all dem, was ihn erfüllt,
auf das doppelte angewachsen, so daß die Bewegung noch
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