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brettes betrachten. Um die Zeit herauszufinden, müssen wir
erst Bewegung in das Bild hineinbringen, indem wir uns
vorstellen, daß wir uns auf irgend einer Weltlinie vorwärts
bewegen. Doch auch dies genügt noch nicht, denn dann
würden wir uns ganz allein nur bewegen, die ganze Welt
aber stille stehen. Es muß aber das Umgekehrte eintreten.
So wie wir beim Fenster der Eisenbahn heraussehend glauben,
daß wir stehen, aber die Bäume an uns vorbeifliegen, so
müssen wir uns auch, indem wir uns auf der Weltlinie vorwärts
bewegen, vorstellen, daß wir ruhen und die Weltlinien
an uns vorbeiziehen, wobei wir so wie aus einem tiefen
Fenster nur das sehen, was sich rechts bezw. links
von uns befindet. Dabei werden uns noch folgende Täuschungen
unterlaufen. Wenn unsere Weltlinie sich einer
anderen nähert, werden wir zu sehen glauben, daß die andere
Weltlinie sich uns nähert. Ebenso wenn unsere Weltlinie
einen Bogen macht, was in Wirklichkeit ein Anschwellen
der eigenen Geschwindigkeit bedeutet, wird sich auch unser
Fenster mitdrehen, aus dem wir herausschauen und daher
wird es den Anschein haben, als ob nun die Gegenstände
draußen doppelt beschleunigt an uns vorbei eilen, bis sich
unser Bogen wieder zurückbiegt und nun die Dinge immer
langsamer an uns vorbeigleiten, bis die alte Geschwindigkeit
wieder hergestellt ist.
Auf diese Art wird sich uns das Weltgeschehen, je
nachdem, auf welcher Weltlinie wir uns fortbewegen, immer
anders darstellen, es wäre denn, daß beide Weltlinien parallel
liefen.
Wir sind nicht an eine Weltlinie gebunden, sondern
können uns auf eine andere Weltlinie versetzt denken, wie
wir es tun, wenn wir nicht die Erde, sondern die Sonne
oder irgend einen Fixstern als ruhend betrachten. Aber irgend
einen festen Standpunkt müssen wir wählen, sonst erhalten
wir kein einheitliches Weltbild.
Insofern kann man also von einer Relativität unseres
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