http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1957/0213
Abb. 1 Kasperl als Hochzeiter
Die ersten Vorstellungen fanden im Dezember 1912 im Saal des Freiburger
Kaufhauses am Münsterplatz im Rahmen der „Freien Kunstvereinigung" statt.
Schon die Wahl der Stücke zeugte von künstlerischem Anspruch. Denn hier
eröffnete sich nun die Welt der Puppendramen des Grafen Franz von Pocci
(1807—1876). „Kasperl wird reich", „Kasperl unter den Wilden", „Kasperl als
Garibaldi" und „Kasperl als Turko" waren keine Stegreifspiele, sondern
mehraktige Stücke, die Pocci einst für die Marionettenbühne von Schmidt in
München verfaßt hatte — überaus liebenswerte Werkchen literarischer Kleinkunst
aus bajuwarischer Sicht, deren Klima Schlick dann auch bis später treu
geblieben ist. Im Grunde war dieses Unternehmen, Pocci auf die Handpuppenbühne
zu bringen, indirekt ein Anknüpfen an eine Theaterkultur, die über
Pocci zurückreichte. Nur wenig vergröbert, spürt man ja bei Pocci etwas vom
Geiste Nestroys und Raimunds, also des großen Wiener Volkstheaters, imd
Schlick hat tatsächlich viel von jener alten, reifen und Urbanen, trotzdem
aber volkstümlichen Theaterwelt in das 20. Jahrhundert herübergerettet. Sie
ist gekennzeichnet durch die Freude am farbig-abenteuerlichen, vielfältigen
Geschehen voller Menschenwitz und Geisterspuk, und durch eine nie ungütige
Parodie auf das große Theater oder auf zeitgenössische Begrenztheiten. Exotik
und Spießbürgertum, romantische und reale Züge nun stoßen sich im Räume
auch der Poccischen Stücke. Kasperl begegnet auf südlichem Eiland dem deutschen
Naturforscher Gerstenmaier und wird vor den „menschenfleischappetit-
lichen Kannibalen" von einem Meergott Neptun errettet, der die Rettung
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