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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1962/0096
der alten Satzungen an das gemeine (oder römische) Recht. Und daß Zasius
dabei mitgeholfen hat, und wie stolz er auf seine Mithilfe war, läßt sich beim
Studium seiner handschriftlichen Randnotiz für die zweite Auflage der Scholien
noch genauer erkennen als das bisher geschehen ist. Die Worte „ope nostra"
(mit unsrer Hilfe) sind nämlich erst nachträglich von ihm hineinkorrigiert — ursprünglich
hatte er bescheiden (vielleicht allzu bescheiden) geschrieben:

n o n sineconsilionostro (d. h. nicht ohne Beratung durch uns)50

Aber wir staunen noch mehr, wenn wir in der Vorrede des gedruckten Stadtrechts
Zäsis modern klingende historische Kritik weit überboten finden. Hier
sind tatsächlich Ansichten ausgesprochen, wie wir sie in den sonst bekannten
Stadtrechtsreformationen, die der Freiburger vorausgehen (Nürnberg J 479,
Worms 1498, Frankfurt 1509), vergeblich suchen51. Revolutionärer — so will es
mir scheinen - - kann man über das ,gute alte Recht' oder über das geltende
Recht nicht denken, als das der Verfasser der Freiburger Vorrede getan hat.
Hier heißt es:

So aber nach den Worten des keisers Justiniani des menschen stand in
empsiger Verwandlung ist also, daß sich alle hendel, übung und bruch, steet
und wesen mit hingang der zit und alters verendern dergestalt, das menschlich
art gar oft by alten Satzungen nit bestan, wo sy nit uß erheischung der
notturft mit nüwen versehen und ersetzt würden (dann nit allein die
Satzungen der Stetten, sonder ouch die keiserlichen geschribnen recht nit
allweg in glichem inhalt gehalten werden mögen52).

Erst wenn wir diese beinahe eines modernen Flistorikers würdige Motivierung
für die Reform des Stadtrechts durchgedacht haben, werden wir richtig verstehen
, warum die Stadt ihrem Gesetzgebungswerk nicht den Namen „Stadtrechtsreformation
" gibt - - wie es die anderen Städte tun! Bei uns heißt der
Titel (im bewußten Bruch mit der mittelalterlichen Gewohnheit): „Nüwe stattrechten
und Statuten". Der Verfasser der gedruckten Vorrede ist offenbar
nicht nur ein „echter Flistoriker", sondern auch ein verkappter Revolutionär -
obschon er sich beim Aussprechen seiner ketzerischen Gedanken vorsichtig eines
Zitats aus dem römischen Recht und der Autorität von Kaiser Justinians
Namen bedient.

Ich kenne im Zeitalter der Stadtrechtsreformation nur ein Phänomen, an
das man beim Lesen dieses Satzes aus der gedruckten Vorrede erinnert werden
könnte - - im selben Jahr, als in Basel das Neue Stadtrecht gedruckt wurde,
ist in Wittenberg bei der Verbrennung der päpstlichen Bannbulle auch ein
Exemplar des kanonischen Rechts den Flammen überantwortet worden! Nun
ist aber bekannt, daß gerade dieser Umsturz des Kirchenrechts ein Hauptgrund
für Zäsis Abwendung von der Reformation gewesen ist. Seine konservative
Grundhaltung wird auf seinem eigenen Fachgebiet, dem römischen
Recht, kaum weniger ausgeprägt sein. Wir dürfen daher in dem auffallenden

50 Vgl. das Facsimile bei Thieme, Aus den Handsdiriften von TJlridi Zasius (1956), S. [9]. Bis jetzt sdieint
niemand versudit zu haben, das Gestridiene zu entziffern.

51 Vgl. die Vorreden der versdiiedenen Stadtrechisreformalionen bei Kunkel-Thieme-Beyerle, Quellen zur
neueren Privalreditsgesdiidite Deutsdilands (1936).

52 Mittelhodideutsches mögen = neuhodideutsdi können. Vielleidit denkt der Verfasser der Vorrede an die
Stelle Inst. I 2 (de iure naturali et gentium et civili) 11: „Sed naturalia quidem iura, quae apud omnes
gentes peraeque servantur, divina quadam Providentia constituta Semper firma atque immutabilia permanent
: ea vcro, quae ipsa sibi quaeque civitas constituit, saepe mutari solent vel tacito consensu populi
vel alla postea lege lata."

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