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IV.
... Nachdem uns gott der herr nach seinem willen und gefallen etwas
ernstlich mit dem sterbent in diser statt Fryburg heimgesucht hat, deshalben
wir nit allein an der mannschaft schedlichen mangel dulden55, sonder müssen
wir auch großen abgang an den zitlichen gietern sehen: dann die geistlichen
pflegen an sich zu koufen und zu erben alles das, so inen werden mag, und
falt nichtz wider von inen. So sind sunst unsere alten stattrecht in erbfüllen
11 ikI andern puncten so gar wider unsere stattkinder und gemeinen
nutz, das nichts gewissers dan abgang statlichs wesens zu besorgen, wo nit
mit fuog und mass dawider gehandelt wurd.
So wir nun nit allein uns selbs und unsern nachkomen, sonder auch
unser gnedigisten herrschaft von Osterrich etc. schuldig und pflichtig sind,
solchen abgang so vil uns ymer möglich ist, zu fürkomen und zu wenden,
so haben wir etliche miwe stattrecht und Satzungen, die nun vil jar mit rate
der hochgelerten und unsrer selbs besten verstentnus zusamen geordnet sind,
by uns uffgericht und furgenomen, der meinung, dieselben uff nehstkunftig
wichennacht angen zu lassen, in hoffnung, dadurch ufgang und merung
diser statt manschaft und den gemeinen nutz zu furdern.
Diewil uns aber die confirmacion darüber von unserm allergnedigisten
herrn. dem romischen kung als landsfursten sonderlich und zuvorderst nodt
sin wurdt, in ansehung, das zu besorgen, die geistlichen mechten sich von
an lang zu vil hart dawider setzen . . ., so pitten wir uch als unsern sondern
lieben herrn, uns hierinne fürderlich beholfen und retlich zu sein, wie und
wo solche confirmacion uff das förderlichst erlangt werden mecht. Dann die
sach mag den verzug bis uff zukunft50 unsers allergnedigisten herren nit wol
Ii den (uss ursach, das der sterbendt für und für so gros endrung pringt und
die geistlichen in irn Sachen dermassen fürfarn, das es uns zu onwiderprink-
lichem schaden reichet). Es habent ouch unser gnedig und gunstig herrn
Statthalter und regenten in ober Elsass uns uff unser ansuochen in disen
h endein und neuwen stattrechten .. geraten, alle Satzungen ordenlich durchsichtigt
, subscribiert und als rechtmessig geratschlagt uffzurichten. Und
meinen sy und wir, ir und ander unsers allergnedigisten herrn commissarien
haben dise confirmacion wol zu geben . . .
Hier in diesem Briefe scheinen Bürgermeister und Rat ihrem Mitbürger
Jacob Villinger wirklich ihre geheimsten Nöte und Sorgen mit rückhaltloser
Offenheit anzuvertrauen. Sie holen bei der Begründung ihrer Bitte um Conti
imation des neuen Stadtrechts sehr weit aus — wenn das alte Stadtrecht weiter
in Geltung bliebe, d.h. bei dem früheren Liegenschaftsrecht und Erbrecht der
Geistlichen müßte die Stadt in den gegenwärtigen Pestzeiten elendiglich verderben
! Das Neue Stadtrecht, das die Stadt mit dem Jahresbeginn 1520 angehen
lassen will, wird diesem gefährlichen Übelstand wohl ein Ende bereiten.
Da aber zu befürchten stellt, daß sich die Geistlichkeit in der Stadt der Ein-
schränkung ihrer bisher beanspruchten Privilegien widersetzen wird, bedarf
das neue S t a d t r e c h t der Conf irmation durch den Landesfürsten
.
Das ist der Grund, weshalb sich Bürgermeister und Rat jetzt an ihren Mitbürger
Jacob Villinger wenden — denn sie und ihre Berater in der Stadtrechts-
frage, der Statthalter und die Regenten in Ensisheim sind einmütig der
Meinung, daß die Herren Commissarien (zu denen Jacob Villinger gehört) diese
ConfirmatioD zu erteilen befugt sind!
55 Bedeutet natürlidi nidits anderes ah ..Mangel an wehrhafter Mannsdiaft" — eine Sadie, deren Folgen
midi für den Landesherrn spürbar sindl
58 Zukunft = Ankunft.
Schau-ins-Land
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