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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1963/0058
es muß wesentlich zur Szene gehören und etwas zu ihrem richtigen Verständnis
beitragen; sonst hätte der Steinmetz es weggelassen. Was aber sagt dieser
„Sitz", „Thronsessel", „Thron", wie man das Gebilde genannt hat, zur Sache aus?

Die Freiburger Darstellung ist in dieser Form einmalig; mir ist keine
Parallele dazu bekannt. Insbesondere fehlt dieses Bildelement in den Genesis-
Bildreihen, die als Nachbarn und Verwandte des Freiburger Nordportals genannt
worden sind: in den Skulpturen in Ulm, Strafiburg, Thann und Worms,
in den Buchmalereien des Hortus deliciarum und der Bilderbibeln König
Wenzels. Man wird sich also andernorts umschauen müssen, wenn man Hinweise
zu diesem Motiv finden will, und zwar im Bereich der geistlichen Dichtung
des Mittelalters6. Dabei kommt es hier nicht etwa darauf an, irgendeine
literarische Vorlage für den Bildhauer des Freiburger Portals aufzufinden;
vielmehr erblicke ich sowohl im Freiburger „Teufelssturz" als auch in den
folgenden Stellen der altdeutschen Literatur Spiegelungen und Niederschläge
desselben zugrundeliegenden Vorstellungskreises, den es aufzuzeigen gilt, weil
wir heutzutage viel zu wenig davon wissen und uns dadurch den Zugang zu
solchen Denkmälern, wie es etwa das Nordportal in Freiburg ist, verstellen7.

Man muß sich vergegenwärtigen, daß der Bericht vom Sturze Luzifers im
eigentlichen Sinne nicht biblisch ist und vor allem nicht in der Genesis enthalten
ist. Erst die Patristik hat diese (wenn man so will) Vorgeschichte der Schöpfung
aus der Andeutung bei Lukas 10. 18 und der Vision der Apokalypse 12. 7—9
herausgelesen. Im Mittelalter gehört sie zum geläufigen theologischen Wissen,
freilich in variierender Form und mit verschiedenartiger Ausdeutung. Das
älteste nachweisbare Vorkommen des Teufelssturzes in einer deutschen Dichtung
ist uns nur in einer altenglischen Übersetzung erhalten; es ist in den der
altsächsischen Genesis entnommenen Versen 235—851 der angelsächsischen
Genesis enthalten und gehört dem 9. Jahrhundert an8. An einer Stelle seines
Psalmenkommentars verrät Notker (gestorben 1022), daß. er diese Zusammenhänge
kennt9. Die in die Jahre 1060 bis 1065 zu setzende Wiener Genesis10 enthält
ebenfalls den Luzifer-Mythos, schließlich auch die mittelfränkische Reimbibel11
, die wahrscheinlich in den Anfang des 12. Jahrhunderts gehört. Nicht
Luzifers Sturz als solcher, wohl aber ihn voraussetzende theologische Konsequenzen
finden sich in der Kaiserchronik12, in der Vorauer Sündenklage13 und

0 Auf das Neben- und Miteinander von Dichtung und Architektur, aus dem Aufschlüsse für die Kathedrale
und ihre Elemente zu gewinnen sind, hat nachdrücklich Hans SedlmaYr (Die Entstehung der Kathedrale,
Zürich 1950) hingewiesen.

1 Die folgende Zusammenstellung ist insofern einseitig, als sie lediglich die deutschsprachigen Zeugnisse
heranzieht; die gleichzeitige lateinische Literatur dürfte noch mehr zur Sache enthalten. Das hat seinen
Grund darin, daß diese Studie aus einem urspünglich philologischen Interesse erwachsen ist, das dem
Wortinhalt des deutschen Wortes Stuhl gilt. Immerhin reichen die altdeutschen Belege aus, die hier
bestehenden Zusammenhänge aufzuweisen.

8 Heliand und Genesis, hrsg. von Otto Behaghel / W. Mitzka, 6. Auflage, Halle 1948; vgl. dazu Helmut
de Boor/Richard Newald, Geschichte der deutsdien Literatur I, 4. Auflage, München 1960, S. 63 f.

o Notkers des Deutschen Werke, hrsg. von E. H. Sehrt und Taylor Starck, III. 2, Halle 1954, S. 655 zu
Psalm 88. 13.

10 Die altdeutsche Genesis / Nach der Wiener Handschrift hrsg. von Viktor Dollmayr, Halle 1932; vgl. dazu
de Boor / Newald a. a. O. I, 150—151 und Zeittafel S. 260. Dieser Text ist nicht zu verwechseln mit der
auch „Wiener Genesis" genannten Bilderhandschrift des 6. Jahrhunderts (Wien, Nationalbibliothek,
Cod. Graec. 31).

11 Mittelhochdeutsches Übungsbuch, hrsg. von Carl von Kraus, Heidelberg 1926, S. 1—27; vgl. dazu de Boor/
Newald a. a. O. I, 167 f.

12 Die Kaiserchronik eines Rcgensburger Geistlichen, hrsg. von Edward Sdiröder (Mon. Germ, hist., Deutsche
Chroniken I, 1), Hannover 1892, Vers 8819—24; vgl. dazu de Boor / Newald a. a. O. I, 223—232.

13 Kleinere Deutsche Gedichte des XL und XII. Jahrhunderts, hrsg. von Albert Waag, 2. Auflage, Halle 1916,
S. 141—167; vgl. dazu de Boor / Newald a. a. O. I, 197.

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