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der Kirche ein meisterliches Werk hinzu. Unwillkürlich fielen mir bei der
ersten Betrachtung der 3,45 Meter hohen Skulptur die Verse des Laurentius
von Schnüffis - - die erste Strophe des katholischen Kirchenliedes „Wunderschön
prächtige, hohe und mächtige, liebreich holdselige, himmlische Frau"48 —
ein, die sich nicht besser eignen könnten, um die Merdinger Arbeit Wentzingers
zu beschreiben. Alois Siegel wies erstmals in einem Zeitungsaufsatz49 auf diese
Immaculata hin. Er war es, der die Statue über der Kirchentüre von Merdingen
aus stilkritischen Überlegungen Johann Christian Wentzinger zuschrieb und
für das Werk eine Datierung um 1740 aus der Baugeschichte der Kirche ableitete
. Einen archivalischen Beleg über Anfertigung und Aufstellung der
Immaculata fand Alois Siegel nicht. Es erging ihm wie Dr. H. Gombert, der
nahezu 30 Jahre später im Katalog der Wenzinger-Ausstellung des Freiburger
Augustinermuseums schrieb: „Merkwürdig ist es, daß bei der Bedeutung Wenzingen
für die Kunst unserer Landschaft sich kaum Archivalien finden."50
Damit offenbart sich ein Problem, das dazu zwingt, den privaten Beziehungen
des Künstlers nachzugehen. Denn Aufträge, die von Liebhabern seiner Kunst
ausgingen und privat bezahlt wurden, zeigen sich nur selten in amtlichen
Rechnungen oder entsprechenden Archivalien erwähnt. Ähnlichen Erfahrungen
begegnete ich schon bei der Bearbeitung des künstlerischen Werkes von Bildhauer
Johann Baptist Sellinger51. Auf die Immaculata-Statue von 1741 angewendet
, gehört keine Phantasie dazu zu sagen, daß bei der Verpflichtung
Johann Christian Wentzingers nach Merdingen die verwandtschaftlichen Verbindungen
eine Rolle gespielt haben müssen. Dafür sprechen zwei Gründe:
Während Bagnato, Feuchtmayer und Spiegier von den für den Chorraum
baupflichtigen und den Kirchenneubau in Merdingen leitenden Freiburger
Deutschherren ihre Aufträge erhielten, konnte wohl Pfarrer Joachim für seine
privat gestiftete Immaculata einen Künstler nach eigener Wahl verpflichten.
Es läßt sich denken, daß sonst an Feuchtmayer auch die Arbeit für die Portalnische
vergeben worden wäre. Wentzinger, 31 Jahre alt, gehörte noch nicht
zu den im Breisgau vielbeschäftigten Meistern. Seinen Merdinger Verwandten
dürfte er deshalb die Bekanntschaft mit Pfarrer Joachim, der ihn für die
Herstellung der monumentalen Plastik heranzog, zu verdanken gehabt haben.
Johann Christian Wentzinger revanchierte sich mit einer hinreißend schönen
Arbeit für den Auftrag. Den zweiten Grund möchte ich darin erblicken, daß
in Merdingen immer noch die mündliche Überlieferung über die Entstehung
der Immaculata-Statue und das Wissen um verwandtschaftliche Zusammenhänge
mit den Wentzingern lebendig ist. Der Bildhauer Wentzinger habe im
Hof des alten Pfarrhauses52 die Marienfigur aus dem Stein gehauen. Das Werk
sei ihm nicht auf Anhieb so gelungen, wie er es entworfen hatte. Denn als
er eines Tages die halbfertige Arbeit betrachtete, habe er, aus Zorn über die
zu klein geratene Nase, der Statue kurz entschlossen den Kopf heruntergeschlagen
. Erst bei der zweiten Ausführung sei Wentzinger mit sich zufrieden
4S Magnifikat, Gebet- und Gesangbuch, Freiburg 1960, S. 664.
49 Alois Siegel, „Die Kirche in Merdingen 1738—1741" in Freiburger Tagespost vom 25. Januar
1931, H 10.
50 Wie Anmerkung 1. Vorwort.
51 Wie Anmerkung 31, S. 64/65.
62 Wie Anmerkung 31, S. 53. Pfarrhaus von Merdingen vor 1754 in der Kirchgasse neben Gasthaus
zur Sonne.
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