http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1966-67/0254
Dessen ungeachtet verfügt die Stadt über beachtliche Zeugen des reinen Jugendstils
, die es verdienen, über das bisherige Maß hinaus erkannt und
bekannt zu werden.
Daß eine Stadt wie Freiburg, die um die Jahrhundertwende bevölkcrungs
mäßig und damit auch in ihrer baulichen Entwicklung einen ungeahnten Aufschwung
genommen hat, über zeitgenössische Bauwerke verfügen muß, isi
logisch. Es ergibt sich die Frage, wo sie zu finden sind, bei welchen dieser
Werke es sich tatsächlich um einen von anderen Stilentwicklungcn freien
Jugendstil handelt, oder wo noch der Eklektizismus in vornehmlich neu
gotischen Details erkennbar ist. Unser besonderes Interesse gilt naturgemäß
der Innenstadt, die auch zur damaligen Zeit nicht von modernen Einflüssen
verschont blieb. An erster Stelle soll hier das Kollegiengebäude I der Universität
genannt sein, das 1907 1911 von dem Karlsruher Architekturprofessor
Oberbaurat Hermann Billing (1867 1946) errichtet wurde15. Hier Ncubarock
zu vermuten, ist ebenso falsch, wie die Plastiken am Stadttheater in diesen
Kunstkreis einzuordnen. In seiner ganzen Baugesinnung und mit dem eier
stabähnlichen Fries am Dachgeschoß atmet es den Geist bester Jugendstil
kunst. Den Wert des Billingschen Bauwerks hat man auch in Freiburg
erkannt, zumal hier mit Professor Dr. Kurt Bauch und seinen Schülern das
Zentrum der Forschung beheimatet ist, das den Jugendstil in seiner wahren
Bedeutung erkannte. Um so bedauerlicher ist es, daß ausgerechnet in diesem
Bauwerk bei der Neugestaltung der Innenräume in der Eingangshalle Jugend
Stileinrichtungen verschwanden, wie etwa die stilreinen Beleuchtungskörper.
Das gegenüberliegende Stadttheater geriet früher ebenfalls in den Verdacht
, als neubarockes Bauwerk dem Eklektizismus anzugehören. Der Berliner
Baurat II. Seeling, der von 1906 1910 das Gebäude errichtete, bediente
sich jedoch, wenn man sich seine fast gleichzeitigen Theaterbauten in anderen
Städten vergegenwärtigt, in Freiburg nicht allein bei der plastischen und
dekorativen Ausgestaltung, im wesentlichen des Jugendstils. Besonders die
hervorragenden Plastiken von dem bisher leider weitgehend unbekannten
Hermann Feuerhahn, der ohne Zweifel eine starke Künstlerpersönlichkeit
war, in Freiburger Werkstätten gearbeitet, gehören zu den vorzüglichsten
Werken ihrer Art in Freiburg. Die unter der offenen Loggia vor dem ehe
maligen Hauptfoyer angebrachten Skulpturen weisen direkt auf die Ausdrucksfähigkeit
des Theaters hin. Die Plastiken stellen Freude, Schmerz,
Schönheit, Musik, Poesie und Tanz dar. In Verbindung damit stehen die
kleinen Reliefs unter den Skulpturen. Sie stehen in innerer Beziehung zu der
großen Giebelgruppe, die Sinnbilder der seelischen Regungen des Menschendaseins
darstellt, wie Stadtbaumeister Thoma in seiner Festschrift zur Einweihung
des Theaters 1910 geschrieben hat. Der Zusammenhang dieses plastischen
Schmuckes ist durch die Abnahme des Giebels bei der Neugestaltung
des Theaters zerstört worden. Vielleicht war der Zusammenhang von Dar-
Allerdings war die Grunddisposition schon gegeben: Während bei dem Wettbewerb Billing
leer ausgegangen war, lag die Grunddisposition nach dem preisgekrönten Entwurf des Architekturprofessors
Friedrich Ratzel bereits fest; die Fundamente waren gelegt und das Sockelgeschoß
schon begonnen. Nach Ratzels tragischem Tod wurde der Bau vom Ministerium dem
Professor Hermann Billing übertragen, der laut Vertrag den gegebenen Grundriß beibehalten
mußte, die formale Gestaltung des Äußeren wie auch des Inneren aber völlig neu konzipierte.
Sein Werk repräsentiert in vorzüglicher Weise den Jugendstil.
252
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1966-67/0254