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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1975/0083
hende praktische Chemie. Er wird damit gleichzeitig zu einem Markstein in der
Chemie, denn von ihm aus erhält die Pyrochemie und damit die überwiegend anorganische
Chemie jener Zeit ihren größten Impuls. So bricht im 14. Jahrhundert
die Alchemie nicht etwa zusammen, sondern verläuft sehr zielstrebig in das frühe
16. Jahrhundert, das von Paracelsus bestimmt wird.

Das persönliche Schicksal Bertholds, des „bekannten Alchymisten, feinsinnigen
Geistes, des großen Philosopho" wie er genannt wird, erinnert an Galiläi, der Aristoteles
zu beweisen versuchte und dann widerlegen mußte, an A. L. Lavoisier, der
ebenfalls - wenn auch aus anderen Gründen - dem Henker verfiel. Es scheint, als
sei an diesem Berthold einer der großen Rufmorde begangen worden. Er hat Anspruch
auf Rechtfertigung, wie jeder Mensch. Mag er die Kanone erfunden haben -
in Wirklichkeit hat er die Sprengkraft hocherhitzter Gase entdeckt. Sein Schießpulver
hat, sinnvoll angewandt, die Wirtschaftskrisen des vergangenen Jahrhunderts
überwinden helfen. Die industrielle Revolution und die Dampfmaschine wären
nichts gewesen ohne die gewaltige Menge an Erzen und Schotter, die eine aufschießende
Industrie und der Eisenbahnbau erforderten, die das Schießpulver und die
Sprengtechnik fördern halfen.

Wenn es typisch ist für bedeutende Wissenschaftler, daß sie am scheinbar nebensächlichen
Effekt etwas grundsätzlich Neues entdeckt haben, dann muß dies auch
für Berthold gelten, der die Transmutation versuchte und dann, als seine Versuche
ergebnislos blieben, auf die gewaltige Sprengkraft eingeschlossenen Pulvers aufmerksam
wurde und sie systematisch zu nutzen verstand. Half seine Arbeit der
Chemie zunächst theoretisch nicht weiter, so hat sie doch den Anstoß zu breiter
praktischer Tätigkeit gegeben, die in jenem Zeitabschnitt vor jeder Hypothese den
Vorrang hatte. Denn Wissenschaft ist unmöglich ohne eine bestimmte Menge fundierter
Fakten, die zunächst erarbeitet sein müssen.

Berthold aber unter die Zufallsentdecker, die Sonntagschemiker, die Alchemie-
laboranten oder unter die Märchenfiguren zu stecken, ist nicht mehr zulässig. Was
man dem Pfarrer Hansjakob im Jahre 1891 nachsehen mag, dürfte für den Chemiker
Partington des Jahres 1960 nicht entschuldbar sein.

Berthold - das verbindende Glied zwischen der reinen spekulativen Chemie und
der modernen wissenschaftlichen Chemie, das bedeutet die ununterbrochene Linie
chemischer Tradition. Das bedeutet einen Streifen von Helligkeit im Dunkel zwischen
dem Mittelalter und der Chemie der Neuzeit. Und doch bleibt das wirkliche
Gesicht dieses Mannes abgewandt, voller Rätsel und überschattet von der Tragik
seines Schicksals.

Hören wir noch eine Stimme über ihn, die Worte, die Jakob von Haunsperg zu
Hachenberg 1588 in seiner Chronik von Salzburg über ihn spricht:

„Der Bösewicht, der solch schändliches Ding erfunden, ist nicht würdig, daß sein
Name (im Gedächtnis) der Menschen bleibe oder ein Lob über seine Erfindung gesprochen
würde. Er wäre wert gewesen, daß man ihn in eine (seiner) Büchsen gesteckt
und ihn an (die Mauer) eines Turms geschossen hätte."

Berthold, Schönbein, Sobrero, Nobel - aus dem Gedächtnis löschen? Weshalb?

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