Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
101.1982
Seite: 143
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1982/0145
Innern des Berges ein Rauschen und Toben sich erhub, als ob der Sturm ein ganzes Meer'
aufwühlte und dieses durch eine schmale Schlucht hervorbrechen möchte. Und was noch
das Aergste war: im Nu verschwand der Jäger, und aus dem Gebüsche reckte sich der
schwarze, mit langen spitzen Zähnen besetzte Rachen eines Ungeheuers mit fürchterlichem
Gebrülle, welches das im Berge noch überschallte, dem Knaben entgegen. Da sank dieser
bewustlos zu Boden; die vier Stiere rißen sich los und gingen durch, und noch lange scholl
rings in Berg und Thal umher das entsetzliche Toben und Brausen, Donnern und Blitzen,
aus dem Kandel und vom Himmel her.

Als der Knabe nach ungefähr einer Stunde wieder zu sich selbst kam, und mit angstverstörtem
Blicke sich umsah, fand er Alles in der Runde wieder ganz ruhig; die Morgensonne
glitzerte durch die grünen Gebüsche, die verschüchterten Vögel kehrten zu ihren Nestern
zurück und fingen wieder ruhig zu singen an. Was aber das Sonderbarste war: ein helles
Bächlein rieselte durch das Gestein dahin, das doch an jener Stelle nie zuvor sichtbar gewesen
war. Der Knabe wußte nicht, ob er wache oder träume und rieb sich die Augen, um
deutlicher zu sehen. Er blickte jedoch nur schüchtern und verstohlen zur Seite hinüber, wo
das schreckliche Unthier auf ihn zugefahren war; aber jetzt regte sich auch nicht ein Blättchen
, nur ein fast betäubender Schwefelgeruch wehte herüber. Wie staunte jedoch der
Knabe, als er endlich zum Felsen selbst hinaufblickte und dort aus der nackten verbrann
ten Wand eine Quelle hervorsprudeln sah, so stark, als wenn zwanzig bis dreißig Brunnen
röhren zusammen ihr Wasser hervortrieben. Wie groß aber war erst seine Freude, als der
Vogt des Dorfes Siensbach zufällig heraufkam, vor Entzücken die Hände über dem
Kopfe zusammenschlug, ihm um den Hals fiel und sagte, daß jetzt der höchste Wunsch
seines Dorfes erfüllt sei, indem es jetzt, was es bisher schwer entbehren hatte müssen, eine
gesunde frische Quelle, sowohl zum Trinken als zum Bewässern der Wiesen besäße. Zugleich
aber machte ihn der Alte, nachdem ihm der Knabe sein schreckliches Abenteuer mit
dem Jäger berichtet hatte, auf die entsetzliche Gefahr aufmerksam, in dem sein Leichtsinn
sowohl ihn selbst als das ganze Thal hätte stürzen können. Hättest du, als du dein Viergespann
mit der Geißel antreiben wolltest, den Felsen hier hinweg zu ziehen, nicht dabei
gerufen: „In Gottes Namen denn!" so wäre dieser Block, der nichts anderes ist, als
das Eingangsthor zu dem unterirdischen See dort unten im Kandel, herausgefahren, die
wilde Fluth hervorgebrochen und du mit sammt den Einwohnern des ganzen Thaies von
ihr verschlungen worden. Doch der Herr sei gelobt! Er hat uns durch deinen eigenen
Mund vor der tückischen List des Höllenjägers noch glücklich gerettet.

Der Knabe wurde nun vom Vogte in das Dorf geführt, wo seine Botschaft den lautesten
Jubel erregte. Der gute alte Mann, der Mitleiden mit der armen Waise fühlte, nahm ihn an
Sohnesstatt an und gab ihm später seine einzige Tochter nebst einer schönen Aussteuer,
zur Ehe.

Als erste der Kandelsagen bringen wir die vom Hirtenbuben, wie sie Heinrich
Schreiber niedergeschrieben hat.80 In epischer Breite schildert sie blumig und
farbenreich und bietet dabei einige Hinweise auf den geschichtlichen Wahrheitsgehalt
. Wie bei der Sage vom Ritter von Schwarzenberg muß auch hier Heinrich
Schreiber, bei der von ihm besorgten Wiedergabe, sich der Vorlage eines Bearbeiters
bedient haben, der nicht aus dem alemannischen Raum kam. Ein Hirtenbub
aus dem Alemannenland hätte nie gerufen: ,,Voran denn in Gottes Namen!"
Und auch der Vogt von Siensbach würde nie sich der Ausdrucksweise bedient
haben: „In Gottes Namen denn!" Mit einem schlichten: ,,In Gotts Name hü!"
trieb und treibt bis in unsere Tage jeder Viehhirt seine Herde an. Auch dem in
Freiburg geborenen und dort gestorbenen Professor Schreiber müßten diese

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