Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
102.1983
Seite: 232
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sagen auch wahrhaft gesichert zu sein. — Meist zeigen Historiker keine große
Neigung, die geistigen Voraussetzungen ihres Forschens selbst abzustecken.'' Wie
bei Kant liegt die Aufgabe zunächst in der kritischen Grenzbestimmung, und
zwar entweder als Voraussetzung der Sicherheit einer wissenschaftlichen Aussage
oder aber als Beweis ihrer Relativität und Ergänzungsbedürftigkeit. Im Unterschied
zu Kant tritt im Verlauf der Untersuchung das Motiv der Ergänzungsbedürftigkeit
immer mehr in den Vordergrund, so daß in einem der abschließenden
Sätze formuliert wird: ,,Kirchengeschichtliches Erkennen hat wie jedes Erkennen
des Konkreten den Charakter der Vorläufigkeit, der Ergänzungsbedürftigkeit und
darum eines notwendigen Offenseins."

Der Beginn der Habilitationsschrift konfrontiert den Akt der historischen Erkenntnis
zunächst dem Lebensbegriff, und zwar vor allem in jenem Sinne, wie
ihn die sogenannte Lebensphilosophie herausgearbeitet hat. ,,Im Menschen als
dem Objekt der Geschichte begegnet uns nichts weniger als das Leben selbst in
seiner erfahrbaren Hochform'4. Der Mensch und mit ihm sogar das Leben selbst
sind der eigentliche Gegenstand des historischen Erkennens; da beides dem Geschichtsforscher
in der eigenen Person unmittelbar zugänglich ist, scheint sich
hier zunächst so etwas wie ein methodologischer Glücksfall zu ereignen. Doch
dieser Glücksfall wird umgekehrt auch zum Hindernis, wenn die individuelle, begrenzte
Teilhabe den Blick auf das Leben selbst und die Totalität aller seiner
Ausprägungen nicht nur ermöglicht, sondern zugleich auch verstellt. ,,Das geschichtliche
Leben ist von einer allgemeinen Unfaßbarkeit beherrscht, die von
einer relativen Faßbarkeit durchkreuzt wird/' — ,,Man kommt ... nicht daran
vorbei, von einer unaufhebbaren Unendlichkeit des Materials zu sprechen.''
Diese Unendlichkeit hat zwei Seiten, eine intensive und eine extensive.

Das Arbeitsfeld der geschichtlichen Erkenntnis ist lediglich ,,wie ein Stückchen
Peripherie", das in doppelter Blickrichtung gegen eine unendliche Mannigfaltigkeit
und Komplexität sowohl im Bereich des Subjektiven wie des Objektiven, des
Intensiven wie des Extensiven eingespannt ist. Allein aus dieser Konstellation
wird deutlich, daß sich die Geschichte mit dem realen Geschehen nicht decken
kann. Der „Zwiespalt des Geschichtsbildes mit dem wirklichen Geschehen" — er
steht am Anfang fast jeder Geschichtsphilosophie — trägt ein weiteres Doppelproblem
in sich: Wie kann man — mikroskopisch — der Fülle des Lebens, wie
sie sich in jedem Individuum konstituiert, gerecht werden? Wie läßt sich -
makroskopisch — eine ganze Epoche in ihrem historischen Gehalt adäquat erfassen
und zum Ausdruck bringen?

Das Ideal des Historismus, „erforschen, wie es gewesen", ist ein zwar notwendiges
, aber unerfüllbares Axiom. Die Reduktion dagegen auf eine bewußte und
scharfe Selbstbeschränkung der Geschichte als „Ausschnitt, den das menschliche
Denken in gewollter Einseitigkeit herauslöst", entzieht sich zu sehr jener unverzichtbaren
Forderung einer „Assimilation des Subjekts an das zu erkennende Objekt
", einer Forderung, der gerade auch im Bereich der Geschichte „höchste Bedeutung
" zugemessen werden muß. Die Ambivalenz dieser beiden Positionen ist
im Grunde sehr alt und hat in der abendländischen Wissenschaftsentwicklung
noch weitaus extremere Vorläufer, die aber Wolf gang Müller in. seiner Unter-

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