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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
102.1983
Seite: 233
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suchung nicht ausdrücklich heranzieht; so würde sich bereits im Sinne der griechischen
Sophistik etwa die Wirklichkeit der Geschichte einzig und allein in der Aussage
der Historiker ereignen, völlig unberührt davon, daß natürlich auch die Geschichtsschreibung
ihre Geschichte hat und somit Auswahl und Fragestellungen,
Inhalte und Wertungen sich verändern. Dem steht die thomistische Überzeugung
entgegen, daß die Würde des Vergangenen vor allem darin besteht, dem verändernden
Zugriff des Menschen ein für allemal entzogen zu sein; das ,perfectum(
ist im Unterschied zum Gegenwärtigen und Zukünftigen das absolut Unveränderliche
. Dem Kirchenlehrer Thomas von Aquin ist der Theologe Wolf gang Müller
hier nur insoweit gefolgt, als er die Unveränderlichkeit zwar dem vergangenen
Geschehen als dem Substrat der Geschichte zuordnet, nicht aber der historischen
Erkenntnis; sie ,,kann ... nicht Abbild des Geschehens sein, sondern entsteht als
ein Produkt des Erkennenden in der Begegnung mit seinem Gegenstand.44

Dieses Produkt kann also nicht so etwas wie eine nachvollzogene, zeitlich versetzte
, intelligible Identität sein; es ist aber ebensowenig eine mehr oder minder
freie Schöpfung des Geistes, die aus den Zeugnissen vergangenen Geschehens
lediglich ihre Baumaterialien bezieht; „der Logiker Rickert negiert die Übereinstimmung
und hat Recht — und doch Unrecht, wenn eine Entsprechung
der Inhalte der jeweiligen Begriffe mit der unabhängigen Wirklichkeit
besteht!"

Die Objektivität geschichtlicher Erkenntnis wird von Wolfgang Müller an diesen
Begriff der Entsprechung gebunden oder im Sinne thomistischen Denkens an
den Begriff der Analektik. Gerade dort, wo er die Unterschiede der Erkenntnisvermögen
nachzeichnet und die Dualität der beiden großen Wissenschaftsbereiche
in Natur- und Geisteswissenschaften, systematische und historische Wissenschaften
oder nomothetische und idiographische Wissenschaften ausfaltet, kehrt er
gleichzeitig jene Einheit hervor, die ihnen mit dem Begriff der Entsprechung gegeben
ist. Ausschließlich diese Entsprechung ist es, die eine naturwissenschaftliche
Formel ebenso wie eine historische Aussage verifiziert — und nicht
die Übereinstimmung oder Identität. ,,Die historischen Erkenntnisse haben so gut
dauernde Gültigkeit, wie andere; jede Wahrheit — und Geschichtserkennen bietet
Wahrheit — ist wahr für immer. Freilich kann man nicht sagen, die Erfassung
des Wahren sei keinerlei Veränderung unterworfen: denn das Gefundene ist ständig
der Ergänzung fähig und u. U. bedürftig der Vertiefung, einer neuen Zusammenschau
— aber nicht nur im Bereich des geschichtlichen Erkennens!"

Mit dem Begriff der Entsprechung wird für die historischen Wissenschaften
also nicht nur Objektivität möglich, sie haben hier sogar ihre gemeinsame Grundlage
mit den Naturwissenschaften. Was beide trennt, ist der Zwang zur Auswahl,
dem die idiographischen Wissenschaften angesichts der Komplexität und Fülle
ihres Materials unterworfen sind, während die naturwissenschaftliche Erkenntnis
hier nur durch den Abstraktionsvorgang bestimmt ist. — Bereits jede Erinnerung
stellt eine Auswahl dar, und Auswahl ist immer Begrenzung. Dieser Zusammenhang
,,macht jede Auswahl zu einer Bedrohung der Wahrheit. Auswahl verfälscht
zwar an sich nicht, nur wenn das Ausgewählte an die Stelle des Ganzen
tritt, entsteht ein falsches Bild! Das Ausgewählte ist das Tatsächliche, immer

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