Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
106.1987
Seite: 147
(PDF, 45 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1987/0149
Die Auswanderungspolitik in Südbaden war mit der merkantilistischen Bevölkerungspolitik
der Zeit und der Leibeigenschaft eng verbunden, wenn nicht sogar von
ihnen bestimmt. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts strebten die merkantilistischen
Politiker nach einer immer höheren Bevölkerungszahl, trotz der Tatsache, daß
sich viele Schichten der Bevölkerung in einer extremen wirtschaftlichen und sozialen
Notlage wegen des Bevölkerungsdrucks auf dem Land befanden. Diese Politiker und
politische Wissenschaftler übten einen großen Einfluß auf den badischen Markgrafen
Karl Friedrich aus. Der Nationalökonom Johann August Schlettwein (1731 — 1802)
war einer der bedeutendsten Vertreter des Physiokratismus in Deutschland. Als Hofrat
in Karlsruhe von 1763 bis 1773 versuchte er, seine Ideen in die Realität umzusetzen
. Später erklärte er den Sinn der merkantilistischen Bevölkerungspolitik:191

Je mehr Menschen an einem Orte zusammen leben, jeweniger können sie die Befriedigung
ihrer Bedürfnisse auf einerlei Art suchen, eines muß dem anderen ausweichen
und entweder die gebahnte Wege mit größerer Vorsicht und Fleiß, oder ganz neue zu
betreten suchen. Die richtige Triebfeder menschlicher Handlungen, das Interesse,
wird unter solchen Umständen erst recht fühlbar, und facht zu mehr Eifer und Tätigkeit
an, als öfters die zweckmäßigste landesherrliche Verordnungen über Benutzung einzelner
Nahrungszweige, die der Unterthan zwar befolgt, wenn er muß, aber — wo nicht
nähere und überzeugende Motive ihn lenken — mit einer gewissen Kaltblütigkeit, die
sich an der Würkung nicht leicht verkennen läßt. So wird durch Volksmenge eine Industrie
befördert, und der Nahrungsstand empor gehoben, denn beide halten immer gleichen
Schritt, ohne sich einander zu überlaufen. Die Entstehung eines jeden blühenden
Staates, ist der Beweis davon. Wüsteneien sind hierdurch in fruchtbare Fluren verwandelt
, und schlecht benutzte Felder zu würdigem Ertrag gebracht worden. Ob nun
gleich in jetzigen Zeiten Wüstungen dem Nahmen nach etwas seltener zurückgeblieben
, so können doch manche gemeine Weiden, und sonstige Gemeinheiten eines Ortes,
in Absicht ihres Umfanges und gegenwärtiger Behandlung wenigstens vel quasi darzu
gerechnet werden, mithin erwarten sie noch erst ihre schicklichere Kultur.

Schlettwein glaubte, daß Uberbevölkerung doch möglich war, aber nicht solange
Teils ein Land noch unbebauet war oder besser bearbeitet werden könnte, solange
nicht alle Natur-Produkte für Industrie und Fabrikation benutzt wurden und solange
nicht genügend Menschen als Arbeitskräfte zur Verfügung standen. Aus den damaligen
Volkszählungstabellen schloß er, dass unsere Menschen-Zahl noch bei weitem zu
gering war.192 Durch solche Ideen mußte Karlsruhe etwas Verständnis und Mitleid
mit den Untertanen verloren haben. In der Tat ging es um ein sehr dezentralisiertes
Land, das seine Untertanen nicht wie Schachfiguren kontrollieren konnte. Diese Ideen
schlössen nicht mit ein, daß die verschiedenen Regionen und die verschiedenen
Schichten der Bevölkerung in unterschiedlichem Maße von wirtschaftlichem Druck
betroffen waren. Die Regierung in Karlsruhe war nicht in der Lage, so viele Menschen
von einer Gegend in eine andere umzusiedeln. In Vorderösterreich passierte genau
das. Die Untertanen in diesem Habsburger Land wurden praktisch in eine andere,
z. B. Österreich, Ungarn oder Galizien, versetzt, obgleich Wien oft Rücksicht auf die
dagegen erhobenen Beschwerden der Behörden in Vorderösterreich nahmen.193 Die
Habsburger Länder zogen auch Leute aus Baden-Durlach an, weil Karlsruhe einfach
nicht mit Wien konkurrieren konnte.

147


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1987/0149