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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
107.1988
Seite: 272
(PDF, 38 MB)
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Gemeinschaftsgärtnerei zu betreiben, ein Experiment, das die große Wirtschaftskrise von
1929 jedoch nicht überstand. Zu jenem Zeitpunkt bekämpfte er bereits auf der Seite der KPD
die Nazis und setzte sich nachdrücklich für die Einheit der Arbeiterklasse ein. 1933 wurde
er von den neuen Machthabern verhaftet und in das KZ Kislau eingeliefert, von wo aus ihm
die Flucht nach Frankreich gelang. Sein Schicksal als politischer Flüchtling enthüllt das ganze
Spektrum der Bedrängnisse und Nöte eines Emigranten, der nicht im Rampenlicht der internationalen
Öffentlichkeit stand. Es reichte von der Angst um das nackte Uberleben, wie etwa
im Lager der Fremdenlegion inmitten der Sahara, bis zu den alltäglichen Sorgen um die materielle
Existenzsicherung in Südfrankreich, die dem gelernten Gärtner mehr schlecht als recht
gelang. Nach der Befreiung Deutschlands vom Nationalsozialismus kehrte Faulhaber unverzüglich
nach Baden zurück, um beim antifaschistischen Wiederaufbau mitzuwirken. In die ersten
Jahre nach 1945 fallen die Sternstunden seines politischen Lebens. In jener Zeit erwarb
er sich große Verdienste um den Aufbau des badischen Gewerkschaftsbundes und die Ausarbeitung
und Durchsetzung eines Betriebsrätegesetzes, das bis heute in der Bundesrepublik sei^
nesgleichen sucht. Der „Kalte Krieg", der mit seiner antikommunistischen Hysterie auch vor
den Gewerkschaften nicht Halt machte, wurde Faulhaber schließlich zum Verhängnis. Sein
Wirken in der KPD, das ihn zuvor auch der französischen Militärregierung hatte verdächtig
erscheinen lassen, veranlaßte den Hauptvorstand seiner Gewerkschaft, gegen ihn mit allen lauteren
und unlauteren Mitteln vorzugehen. Am Ende stand seine Entlassung als badischer Bezirksleiter
der IG Chemie. Mit einem Wandergewerbeschein, der ihn zum Verkauf von Büchern
berechtigte, hielt er sich nach seiner Entlassung finanziell über Wasser, wobei er nach
wie vor für die Gewerkschaftsidee lebte. 1967 erreichte er seine Aufnahme in die Gewerkschaft
Handel, Banken und Versicherungen.

Wer von den Lebenserinnerungen Faulhabers auch eine kritische Auseinandersetzung mit
der Geschichte seiner Partei erwartet, wird enttäuscht. So verschweigt Faulhaber aus Loyalität
beispielsweise das große innerparteiliche Problem der KPD, den Stalinismus, ebenso wie
seine eigene interne Opposition, und das, obwohl er gemeinsam mit der kompletten Landeslei-
tung 1951 durch die Parteizentrale abgelöst worden war. Uber die illegale Arbeit zwischen
1956, dem Jahr des KPD-Verbotes, und 1968, dem Gründungsjahr der DKP, erfahrt der Leser
ebenfalls wenig. Faulhaber begründet dies damit, daß es dafür „noch zu früh" sei. (S. 31).
Dennoch: der Leser erfahrt so viele neue Einblicke, daß sich die Lektüre unbedingt lohnt.

Heiko Haumann befaßt sich eingehender mit der Entlassung des ehemaligen Bezirksleiters
der IG Chemie und fragt nach deren Hintergründen. Seine Studie „Der Fall Max Faulhaber"
liest sich streckenweise wie ein Kriminalroman. Dafür sorgen nicht nur die damaligen Umstände
, sondern gleichermaßen ihre dramaturgische und sprachliche Präsentation durch den
Verfasser. Mit der Akribie eines Detektivs zeichnet Haumann die Stationen des „Falles" nach:
Kündigung Faulhabers durch den Hannoverschen Hauptvorstand; Proteste der Gewerkschaftsbasis
; Stimmungsumschlag infolge einer Pressekampagne der sozialdemokratischen Parteizeitung
„Das Volk" und die Besetzung des Gewerkschaftshauses in Freiburg durch Mitglieder
der KP; Faulhabers Niederlage auf der Delegiertenkonferenz, die auch der Arbeitsausschuß
zur Verteidigung der demokratischen Rechte in den Gewerkschaften nicht mehr verhindern
konnte; schließlich die Auseinandersetzungen zwischen Ex-Bezirksleiter und Hauptvorstand
vor Gericht.

Haumann rekonstruiert diese einschneidende Phase der Lebensgeschichte Faulhabers, ohne
je der Gefahr der unkritischen Identifizierung zu erliegen. Seine in Gesprächen mit Faulhaber
gewonnenen Erkenntnisse überprüft er stets anhand des verfügbaren Quellenmaterials. Die
eigentliche Leistung dieser regionalgeschichtlichen Arbeit besteht jedoch darin, daß Haumann
den „Fall Faulhaber" zum Ausgangspunkt einer fundierten Analyse innergewerkschaftlicher
Konflikte in den Anfangsjahren der Bundesrepublik macht und damit die Fruchtbarkeit der

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