Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
108.1989
Seite: 220
(PDF, 38 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1989/0222
ger Ordinariats, in dem seit 1872 verschärft aufflammenden Kulturkampf"60 Auch
aus heutiger Sicht wird seine Rolle nicht unkritisch gesehen; so verweist van Rijs-
wijck auf seinen Antiintellektualismus, die Kulturfeindlichkeit, das Unverständnis
für soziale Fragen und die Verteidigung einer konservativen Form der Dorfkultur.
Becker merkt an, es sei offensichtlich, daß Hansjakob, der während des Ersten Weltkrieges
publizistisch den deutschen Militarismus verherrlichte, mit Teilen seines antiliberalen
und antisozialistischen Ideenkonglomerats gewisse populäre Prädispositionen
für die NS-Ideologie artikulierte. Diesen Hansjakob nahm Kußmaul aufs Korn,
als er aufzeigte, daß er sich Übertreibungen, Verdrehungen und Unwahrheiten in seiner
Schrift gestattete.

Im ersten Brief geht Kußmaul nochmals auf Hansjakob ein und unterscheidet zwischen
theologischer und medizinischer Wissenschaft: „Es mögen wohl Theologen,
wie der Verfasser des Impfbüchleins, der wunderlichen Ansicht sein, daß die Impfung
einen medizinischen Glaubensartikel darstelle. Die medizinische Wissenschaft
aber kennt keine Glaubensartikel. Sie rechnet nur mit Tatsachen und nimmt sie nicht
eher als glaubwürdig an, bis sie bewiesen sind, nicht durch den Anspruch dieses oder
jenes kanonisierten Arztes, etwa des Stuttgarter Herrn Anti-Impf-Apostels Dr. Rittinger
(wie ihn seine gläubigen Jünger nennen), sondern durch fortgesetzte Beobachtung
zahlreicher redlicher Männer, die im strengen Dienste der Wissenschaft die schwere
Kunst genauer Beobachtung erlernt haben. Wenn Herr Dr. theol. Hansjakob somit
glaubt, medizinische Glaubensartikel umstoßen zu können, beweist er eben nur, daß
er zwar selbst stark im Glauben, aber unwissend in den ersten Prinzipien der Medizin
ist." Kußmaul fahrt dann fort: „Ist die Impfung ein Eingriff in die Majestätsrechte
Gottes, wie Herr Dr. Hansjakob zu verstehen gibt, so hole er zuerst den Blitzableiter
von dem Gotteshause, das unsere Stadt schmückt, denn dieser Blitzableiter ist dann
nicht minder eine solche Sünde . . . Wir Mediziner holen die Richtschnur unseres
ärztlichen Handelns weder aus der Theologie, noch aus der Metaphysik. Die Seuchen
, wie z. B. die Blatternseuche, sind uns die Wirkung natürlicher Ursachen und
wir leben in der Überzeugung, daß sie der wachsenden Einsicht in die Werkstätten
der Natur, der fortschreitenden Bildung, der Humanität und der christlichen Idee der
Brüderlichkeit mehr und mehr weichen müsse."61

In dem gut 100 Seiten starken Buch zeigt Kußmaul auf, daß die Blattern nicht in
Europa heimisch sind, sondern aus Asien stammen und kein klimatisch notwendiges
Übel seien. Er weist dann historisch nach, wie es zur Inokulation mit Menschenlymphe
kam und dadurch erste Erfolge in der Bekämpfung der Infektionskrankheit erzielt
werden konnten. Sodann geht er im einzelnen auf die Kuhpockenimpfung, die im Wesentlichen
durch Jenner in England entwickelt worden war, ein. Kußmaul stellt Jenners
Erfolge mit der Kenntnis des gesamten europäischen Schrifttums so dar, daß die
Leser selbst zu den entscheidenden Einsichten kommen. Im achten Brief beschreibt
Kußmaul die rasche Ausbreitung der Kuhpockenimpfung über die zivilisierte Welt sowie
die Geschichte ihrer Einführung in Baden: „Die Botschaft von Jenners glücklicher
Erfindung ging zu Anfang des Jahrhunderts auf Sturmflügeln durch die ganze
zivilisierte Welt." In Deutschland hatte man schon in den ersten zwei Jahren nach der
Einführung der Impfung im Jahre 1802 300 000 Menschen geimpft. In Baden machte
sich in den Jahren 1801 bis 1803 besonders die Stadt Pforzheim um die Einführung

220


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1989/0222