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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
108.1989
Seite: 225
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Czerny nach Heidelberg, wo er 30 Jahre sein wird und u. a. die erste Krebsklinik
gründen wird. Als Czernys Abschied gefeiert wird, entstehen lustig gezeichnete und
fröhlich gedichtete Blätter, die sich erhalten haben und die ein Bild vom Alltagsleben
der Klinik — die ja auch noch Kußmauls Klinik war — geben und etwas von der Mentalität
dieser Kreise zeigen.

Ich stelle hier, ein wenig weiter ausholend, noch eine Hypothese zur Diskussion.
Am 22. September 1879 hielt Kuß maul in Baden-Baden auf der 52. Versammlung
Deutscher Naturforscher und Arzte die Gedächtnisrede auf Dr. Benedict Stilling, in
der es unter anderem heißt: „Noch als öljähriger Mann war er bereit, seine Stellung
in Cassel, obwohl er damit die größten äußeren Opfer gebracht hätte, mit einer Professur
der Chirurgie zu vertauschen, die damals gerade an einer kleinen Universität
Süddeutschlands vacant geworden war; nur durch Zufall ist dieses Projekt vereitelt
worden." Stilling war 1871 61 Jahre alt. Die vacante Professur für Chirurgie in Süddeutschland
war wohl die in Freiburg. Meine These lautet, daß Kußmaul zunächst
Stilling nach Freiburg berufen wollte. Trotz Studien der Fakultätsakten ist es mir jedoch
nicht gelungen zu kären, welcher Zufall das Projekt vereitelt hat; Stillings Name
wird nicht erwähnt. Ich weise noch auf einige weitere Gesichtspunkte in der Gedächtnisrede
auf Stilling hin. Sie wirft gerade aus heutiger Zeit ein ganz bezeichnendes
Licht auf ihren Autor. Manche Sätze lesen sich wie eine Selbstcharakteristik Kußmauls
, und Stilling ist ihm wohl besonders sympathisch gewesen, da er zeitlebens
praktischer Arzt und Wissenschaftler zugleich war.

Stilling, „ein glücklicher Entdecker und Erfinder auf fast allen Gebieten der Medi-
cin, ein Gelehrter von erstaunlicher Fülle des Wissens, gehörte . . . keiner akademischen
Körperschaft an und erfreute sich nie einer öffentlichen Unterstützung; — immer
war er einzig und allein auf seine eigenen Mittel angewiesen; — alles schuf er
nur durch sich. Ihm war es nicht einmal beschieden, in einem öffentlichen Krankenhaus
wirken zu können; unter das Joch der Privatpraxis gebeugt, verlor er doch nie
Kraft und Muth zur angestrengtesten wissenschaftlichen Arbeit und stets umspannte
er bei aller Achtsamkeit auf das kleinste das größte Arbeitsfeld. Arzt und Freund seiner
Kranken zugleich, vielgesuchter, weithin gerufener Operateur in großem Stile,
fand er noch übrige Zeit zu den mühseligsten physiologischen Versuchen und den minutiösesten
anatomischen Untersuchungen. Seine zahlreichen Journal-Abhandlungen
, seine selbständigen Werke und anatomischen Atlanten, füllen eine ganze Bibliothek
! Und doch, trotz dieser überraschenden Fruchtbarkeit, nirgends bloße
Compilationen, überall Produkte eigensten Schaffens! . .. Stilling war noch nicht
ganz mit der Abfassung seiner Schrift über die Gefaß-Durchschlingung zu Ende (eine
neue Operationsmethode), als er unerwartet im Herbst 1833 von der kurhessischen
Regierung zum Landgerichts-Wundarzt in Cassel ernannt wurde. Es war das erste
Mal, daß der Staat Kurhessen einen Juden anstellte. Die kurhessische Verfassung
vom Jahr 1830 hatte zwar auf dem Papier alle Bekenntnisse vor dem Gesetz gleich
gestellt, in Wirklichkeit aber war noch kein Jude vom Staate angestellt worden." —
Und zum Schluß seiner Rede: „Inmitten des Streber- und Gründertums unserer Tage
ist es ein tröstlich Ding und sichert das Vertrauen auf den endlichen Sieg der moralischen
Mächte in der menschlichen Entwicklung, wenn wir auf edle Naturen stoßen
wie die Stillings, einzig erfüllt von dem Drange nach Wahrheit und keinerlei Opfer

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