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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
108.1989
Seite: 238
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1989/0240
War ihm dann die Niederschrift vorgelegt, so nahm er sie mit dem Verfasser so oft
kritisch durch, bis sie sachlich und sprachlich nichts mehr zu wünschen übrig
ließ."81

A. Cahn schildert uns in einer anderen Szene, wie Kußmaul mit seinen Assistenten
umging, und was er von den praktischen Ärzten auf dem Lande hielt; „Eines Tages
untersuchte er einen kürzlich aus dem Schwarzwald eingetroffenen Patienten mit einem
nur schwer zu entwirrenden Symptomenkomplex und fragte den Assistenten, ob
denn der Arzt etwas über den bisherigen Verlauf mitgeteilt habe. Jawohl, er hat ein
Schreiben von einem Wald- und Wiesendoktor drüben mitgebracht. Es wird wohl
nicht viel Gescheites drinstehen, ich habe es noch nicht durchgesehen. Die Umstehenden
sahen ein Gewitter sich sammeln; man sah ordentlich die zornigen Worte heraufquellen
und die Stirnadern zum Schwellen bringen. Doch minutenlanges Schweigen
und dann die milden Worte: Lesen Sie den Brief nur getrost zweimal, wissen Sie,
ich bin auch ein Landdoktor gewesen. Manche meiner besten Assistenten sind jetzt
drüben im Schwarzwald; Sie werden noch manches von einem Landarzt lernen können
. Dann die bekannte Bewegung mit der linken Schulter, als werfe er eine Last ab;
die Geschichte war abgetan, der Tadel vergessen."82

Wie Kußmaul am Krankenbett gehandelt hat, erfahren wir ebenfalls von Cahn.
Einfach und zielbewußt habe er wenige unkomplizierte Arzneimittel eingesetzt, ohne
ein hastiges Hin- und Herprobieren. Die physikalischen Heilpotenzen (elektrische
Behandlung, Bäder, Massagen, Gymnastik und Mechanotherapie) wurden in seiner
Klinik mit Vorliebe angewandt. Aber auch einzelne Methoden aus dem Bestand der
alten Schulmedizin wurden geübt: „Am festesten haftet in meiner Erinnerung ein Fall
aus den letzten Jahren seiner Straßburger Tätigkeit. Eine ältere lungenkranke Frau
wurde gerade während der klinischen Visite von reichlichem Bluthusten befallen. Die
Studenten drängten sich herum, die geängstigte Frau brach in die ärgerlichen Worte
aus: Da steht jetzt ein ganzes Rudel Doktors, junge und alte, um mich herum, und
keiner kann mir das Blut stillen! Die Frau war rüstig, nicht besonders blass. Mit geübter
Hand öffnete Kußmaul die Vene, schnell strömten ca. 60 cc aus, die Blutung
stand."83

Großen Wert legte Kußmaul auf die Mitwirkung geübter intelligenter Krankenpfleger
. Eine gute Bettung konnte mehr Erleichterung schaffen als eine ausgeklügelte
Medizin. Der Barmherzigen Schwestern nahm er sich großzügig an, er setzte z. B.
in Freiburg durch, daß die Ordensschwestern alljährlich zur Erholung einige Zeit in
den Schwarzwald geschickt wurden. „Wissen Sie, gute Assistenten kann ich viele haben
; eine gute, geübte Schwester findet man nur selten." Dies unter vier Augen den
Collegen geäußerte Wort ist unter uns klinischen Assistenten zum geflügelten Wort
geworden.84

Hier seien einige kurze Hinweise auf Arnold Cahns Biographie gegeben.85 Er
wurde 1858 in Worms geboren. Von 1878 bis 1919 war er in Straßburg tätig, zunächst
als Kußmauls „liebster" und „bester" Asisstent. 1893 wurde er Außerordentlicher
Professor (nicht Ordinarius, weil er Jude und zu demokratisch gesinnt war) und Leiter
der 2. Medizinischen Universitätsklinik. 1919 Ausweisung aus Straßburg und
Chefarzt in Stuttgart-Cannstatt; 1927 Tod in Bad Homburg. Die Familie konnte nach
1933 emigrieren.

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