http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1989/0277
Nach der Auflösung von Freiburg sollte Späth die Anstalt Bischweiler im Elsaß
übernehmen, er lehnte aber die zweimalige Anordnung des Landrats ab und ließ sich,
Krankheit vorschützend, in den Ruhestand versetzen.
Die ehemalige Kreispflegeanstalt blieb bis zum Ende des Krieges Lazarett. Von
1945 bis 1949 wurden die Gebäude von der Medizinischen Universitätsklinik benutzt,
1950 zogen die Verwaltung der Klinischen Anstalten, die Neurochirurgie, eine Abteilung
der Universitätsfrauenklinik und die Infektionsstation der Medizinischen Universitätsklinik
hierher.103 Jetzt ist das Militärhospital „Alain Limouzin" der Französischen
Armee in der ehemaligen Kreispflegeanstalt untergebracht.
6. Die Bedeutung der Kreispflegeanstalten für die Armenpolitik
Außergewöhnlich im Vergleich zu sonstigen Siechenanstalten in Deutschland war,
daß in den Kreispflegeanstalten ruhig Geistesgestörte zusammen mit somatisch Pflegebedürftigen
versorgt wurden. Die gemeinsame Unterbringung entstand nicht aus
einem theoretischen psychiatrischen Konzept, etwa der Vorstellung, den geistig Behinderten
eine sie fordernde Umgebung zu schaffen. Das gemeinsame Merkmal der
Pflegebedürftigkeit und die Notwendigkeit, sie zu beaufsichtigen und sie der Öffentlichkeit
zu entziehen, waren die zweckrationalen Gründe für dieses Vorgehen.-
Eine Entlastungsfunktion für die bestehenden Irrenanstalten des Landes war mit
den Kreispflegeanstalten anfänglich nicht geplant. Ebensowenig sollten die Insassen
der Kreispflegeanstalt für die psychiatrische Ausbildung der Universitätskliniken zur
Verfügung stehen, wie die Kontroversen um die Errichtung einer psychiatrischen Klinik
in Freiburg und des Psychiatrischen Landeskrankenhauses in Emmendingen
zeigen.104
Die theoretische und praktische Entwicklung der Psychiatrie im letzten Drittel des
19. Jahrhunderts spielte für die Praxis der Kreispflegeanstalten keine erkennbare
Rolle. Zur Zeit der Gründung der Freiburger Anstalt hatte sich die Psychiatrie als
naturwissenschaftlich orientierte Unterdisziplin der Medizin durchgesetzt. Entsprechend
dieser naturwissenschaftlichen Auffassung galten die Geisteskranken als körperlich
krank. Das Interesse an ihnen war vorwiegend diagnostisch. Als Körperkranke
wurden sie in Betten behandelt, was die Mehrzahl hospitalisierte.105
Die Empfehlungen Kolbs 1908 nach gemeindenaher, offener Irrenfürsorge oder die
Einbeziehung der Sozialarbeit in die Psychiatrie, die Skepsis gegenüber der etikettierenden
Diagnostik, die Untersuchung der Isolationsfolgen, die Entwicklung präventiver
Maßnahmen lagen weit außerhalb des Horizonts der Leiter der Kreispflegeanstalten
wie auch der für sie zuständigen Kreisverwaltungen. Die Insassen der Kreispflegeanstalten
waren eine zu alte und zu überschaubare Klientel, als daß hier neue
Ansätze in Betracht gezogen werden mußten.
Auf der anderen Seite bleibt festzuhalten, daß die Situation der Pfleglinge besser
war als in den zeitgenössischen Irrenanstalten. Die in den psychiatrischen Landesanstalten
erst langsam sich durchsetzende Arbeits- und Beschäftigungstherapie war in
den Kreispflegeanstalten aufgrund ihres Unternehmenscharakters zwar nicht unter
dem Namen Therapie aber der Sache nach entwickelt. Dies änderte sich erst im
20. Jahrhundert, wo die Ärmsten der Armen in den Kreispflegeanstalten ihr Leben
fristen mußten und schließlich Opfer der Euthanasie wurden.
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