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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1990/0199
DOMINIK RICHERT, Beste Gelegenheit zum Sterben. Meine Erlebnisse im Krieg 1914—1918.
Hg. von Angelika Tramitz und Bernd Ulrich. Knesebeck Sc Schuler, München 1989. 415 S.

Auf dem Trappenübungsplatz Heuberg wurde der damals 21jährige Bauernsohn Dominik
Richert aus Saint-Ulrich im Oberelsaß, der im 122. Badischen Infanterieregiment diente, 1914
von der Mobilmachung überrascht. Ohne große Begeisterung zog er in den Krieg: „Sofort
dachte ich, daß man im Kriege nichts so gut wie totgeschossen werden kann. Das war eine
äußerst unangenehme Aussicht. Auch war mir bange, wenn ich an meine Angehörigen und
an meine Heimat dachte, die hart an der Grenze liegt und daher der Gefahr ausgesetzt war,
zerstört zu werden" (S, 15/16). Die diskriminierende Behandlung der Elsässer, Schikanen und
verbrecherisches Verhalten von Vorgesetzten verstärkten seine kritische Einstellung. So erschoß
gleich zu Kriegsbeginn ein Leutnant Soldaten, die im Kugelhagel der fehlgeleiteten eigenen
Artillerie beim Vorgehen, zögerten (S. 31); Generalmajor Stenger erließ Ende August
1914 einen Brigadebefehl, daß verwundete und gefangene Franzosen zu „erledigen" seien
(S. 37). Widerwärtig war, wenn flüchtende Soldaten „wie Hasen (...) abgeschossen" wurden
(S. 140, vgl. 232). Von Heldenmut sah er nicht viel. Er erkannte, daß „die furchtbare Disziplin
, der Zwang", aber auch die Todesangst die Männer beim Angriff nach vorne trieb (S. 29.
vgl. 324 u. ö.).

Obwohl Richert offensichtlich ein umsichtiger Soldat war, der mehrfach ausgezeichnet
wurde und dessen Beförderung zum Vizefeldwebel 1918 anstand, ersann er immer wieder
Möglichkeiten, sinnlosen Befehlen oder einem nicht mehr auszuhaltenden „Hundeleben" zu
entgehen (z. B. S. 60/61, 65, 84ff., 155, 320). Der Gedanke zu desertieren, der schon früh
in ihm gekeimt war, verfestigte sich. Doch erst im Juli 1918, nach langem Einsatz im Osten
wieder an die Westfront zurückgekehrt, wagte er die Tat zusammen mit zwei Kameraden. Davor
lag eine kaum vorstellbare Leidenszeit, die er mit einer ergreifenden Eindringlichkeit
schildert. Je länger der Krieg dauerte, um so mehr mußten auch die Soldaten hungern. An
der Ostfront kam im Winter der strenge Frost hinzu. Seuchen und andere Krankheiten traten
häufig auf. Aber das Schlimmste war das Jammern und Stöhnen der Verwundeten, das grauenhafte
Sterben des Nebenmannes.

Dominik Richert wurde zu einem konsequenten Pazifisten. Nach der Heimkehr in sein Dorf
schrieb er seine Erinnerungen nieder. Seiner Frau, die er 1922 heiratete, seinen beiden Söhnen
und den Dorfbewohnern erzählte er immer wieder von seinen Erlebnissen. 1940 besetzten die
Deutschen wieder das Elsaß. Als sie ein Jahr später die Wehrpflicht für die Elsässer einführten
, riet Richert seinen beiden Söhnen, in die Schweiz zu fliehen. Zur Strafe wurde das zurückgebliebene
Ehepaar nach Deutschland deportiert, wo es Zwangsarbeit leisten mußte.
Schwere gesundheitliche Schäden blieben zurück. 1977 starb Dominik Richert.

Zehn Jahre später entdeckte Bernd Ulrich, der an einer Dissertation über das soldatische
Erlebnis im Ersten Weltkrieg arbeitet, eine Abschrift der Erinnerungen im Freiburger Bundesarchiv
/Militärarchiv, die auf Umwegen dorthin gelangt war. In detektivischer Nachforschung
spürte er zusammen mit Angelika Tramitz den Heimatort und die dort lebenden Söhne Richerts
auf. Nachdem sie deren Einverständnis zur Veröffentlichung erhalten hatten, konnten
die Herausgeber daran gehen, das Originalmanuskript durchzusehen und es mit anderen Dokumenten
zu vergleichen. Sie stellten fest, daß die Erinnerung Richert nur an wenigen Stellen
getäuscht hatte (dies ist jeweils genau vermerkt). Die Edition ist sorgfaltig und folgt strengen
Prinzipien. Das geht soweit, daß bedauerlicherweise ein späterer Nachtrag Richerts nicht
wörtlich abgedruckt wurde, obwohl er von großem historischen Interesse ist: Es handelt sich
um den Vormarsch der deutschen Truppen im Baltikum nach dem ursprünglichen Scheitern
der Friedensverhandlungen mit der Sowjetregierung. In diesem Zusammenhang sind den Herausgebern
zwei kleine Fehler unterlaufen: Die Februarrevolution fand nach dem dort noch geltenden
julianischen Kalender am 23. Februar, nach gregorianischem Kalender — wie er im

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