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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
111.1992
Seite: 160
(PDF, 29 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1992/0162
Die Rede

Auch zur Rhetorik Rosa Luxemburgs nahm die bürgerliche Presse Freiburgs Stellung
. Teils wurden die Ausführungen als „fein pointierte Spitzen" 37 anerkannt, teils
als „billiger Spott" und „bittere Ironie"38 verworfen.

Es läßt sich heute nicht mehr ermitteln, ob und inwieweit sich Rosa Luxemburg
bei ihrer Rede in Freiburg an einem Manuskript orientierte, oder ob sie frei sprach.
Letzteres erscheint angesichts ihrer üblichen Redepraxis wahrscheinlich;39 auch
deutet der letzte Teil ihrer Ausführungen, wo sie ebenso unvorbereitet wie geschliffen
auf einen fremden Diskussionsbeitrag eingeht, darauf hin, daß ihre Diktion keiner
langen Vorbereitung bedurfte. Der uns vorliegende Abdruck der Freiburger Rede in
der „Volkswacht" geht, dies zeigen auch die markierten Zwischenrufe und Zuschauerreaktionen
(„stürmischer Beifall und große Heiterkeit"), auf ein stenographisches
Protokoll des zuständigen Redakteurs zurück.40 Daß dieses von der Rednerin nachträglich
autorisiert wurde, ist möglich, aber nicht gesichert.41

Was die Freiburger Rede so besonders macht, ist jedoch weniger die Originalität
ihrer Form als vielmehr die ihres Inhaltes. Die in der wissenschaftlichen Untersuchung
weitgehend unerforschte Freiburger Protestrede42 ist eines der aussagekräftigsten
Zeugnisse der Militarismuskritik Rosa Luxemburgs und ein eindrucksvolles
Beispiel ihrer marxistischen Dialektik. Selten zuvor hatte es die Sozialdemokratin
verstanden, die verschiedenen Teilaspekte ihrer Analyse des deutschen Militärwesens
derart geschickt zu verknüpfen, von dort auf einen zugrundeliegenden Zusammenhang
mit der herrschenden Staatsordnung zu schließen und aus den gewonnenen Er-
kenntnissen die Mittel zur Uberwindung dieses Gesamtsystems abzuleiten.

Gleich zu Beginn ihrer Ausführungen weist die Rednerin, die sich als „schwere
Verbrecherin" und „staatlich Geächtete" vorstellt, der herrschenden Gesellschaftslehre
die eigene Widersprüchlichkeit nach. „Du sollst nicht töten!" habe sie auf den
Antikriegskundgebungen in Frankfurt den Arbeitern zugerufen und danach erfahren
müssen, daß es im „christlich germanischen Reich [...] ein Staatsverbrechen [ist],
wenn man das Gebot der Nächstenliebe [.. . ] ernst nimmt und ins Leben einführen
will". Für jeden Sozialdemokraten jedoch müsse es die erste Pflicht sein, den Arbeitern
das Verbrecherische von Kriegen und statt dessen die Aussicht auf „Völkerverbrüderung
mit allen Nationen" vor Augen zu führen. Wenn der herrschende Staat dies
hintertreibe, dann deshalb, weil er seinem ganzen Wesen nach selbst brutal und verbrecherisch
sei. „Die Gesellschaftsordnung beruht ja auf dem organisierten Mord
und es heißt ihr die Lebensbasis entziehen, wenn man gegen den Mord [. . .] aufruft
" Nicht nur zeige sich die Gewalttätigkeit des Systems auf dem „Schlachtfeld der
Arbeit" zwischen mörderischer Ausbeutung und tödlichen FabrikunMlen, sondern
als „Völkermord" auch auf den internationalen Kriegsschauplätzen.

Auch die unaufhörliche Waffenproduktion in Europa sei ein sicheres Indiz für die
Aggressivität der vorherrschenden Ordnung und ihrer fatalen Gefahr für die gesamte
Menschheit. „Früher oder später wird und muß ein solcher Weltkrieg entstehen aus
nichts anderem als aus dem unaufhörlichen Rüsten." In diesem Wettrüsten, das unweigerlich
in Kriegen münde, trete die Antinomie von Kapitalismus und Ethik am
deutlichsten zu Tage. Unter dem Eindruck des Tirpitzschen Flottengesetzes hatte Lu~

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