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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
111.1992
Seite: 162
(PDF, 29 MB)
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mus-Begriffes genannt. Für Luxemburg stellt er bloß eine der ökonomischen Varianten
eines größeren, des militaristisch-kapitalistischen Systems dar. Die Freiburger
Rede ist damit auch ein Schlüssel zur Imperialismus-Kritik der Sozialdemokratin.
Hier löst sich die vermeintliche Inkohärenz zwischen ökonomischer und politischer
Analyse des kapitalistischen Systems, wie sie führende Luxemburg-Interpreten in der
Vergangenheit konstatierten, auf. Erklärt Rosa Luxemburg in der „Akkumulation"
den Imperialismus damit, daß die erweiterte Reproduktion des Kapitalismus auf
stetiges Wachstum und damit auch auf Ausdehnung in nicht-kapitalistische Gebiete
angewiesen wäre, so reduziert sie den betrachteten Gegenstand dort auf ein rein ökonomisches
Phänomen. Sie ignoriere damit, so der Einwand, das — angeblich — untrennbare
Zusammenspiel zwischen Kapitalismus und Militarismus, wie es in anderen
Bereichen als dem Imperialismus, etwa in der herrschenden Politik, zutage trete.
Diese außerökonomische Bedeutung des Militarismus für das bürgerlich-kapitalistische
System arbeitet Rosa Luxemburg in Freiburg ausführlich heraus und schmiedet
damit das fehlende „Bindeglied", das Peter Nett! in der Imperialismus-Kritik Luxemburgs
zwischen ökonomischer und politischer Systemanalyse vermißte.46 Der Freiburger
Ansatz, den politischen wie ökonomischen Militarismus und nicht den rein
wirtschaftlich motivierten Imperialismus an den Anfang einer umfassenden Kapitalismus
-Kritik zu stellen, erleichtert Rosa Luxemburg auch, wie weiter unten zu zeigen
sein wird, die „klaffende Lücke" zwischen erkennender Theorie und sozialistischer
Aktion zu überbrücken und eine gezielt antimilitaristische Programmatik für die
Sozialdemokratie zu entwerfen.

Erscheint der vielgestaltige Militarismus in der Interpretation Rosa Luxemburgs
auch als ein Mittel zur Stütze des Imperialismus, so ist er ihrer Auffassung nach als
solches ebenso wie in zuvorgenannter Weise als Rüstungsspirale in erster Linie von
essentieller, lebenserhaltender Bedeutung für den Kapitalismus: einmal als sein
Werkzeug zur Ertragssicherung, zum änderen als Ertrag selbst, wobei beide Phänomene
sich zusätzlich darin ähneln, daß sie im selben unausweichlichen Resultat enden
, dem Krieg.

Auch die seit der Caprivischen Heeresreform von 1893 faktisch reichsweit verwirklichte
allgemeine Wehrpflicht, die Rosa Luxemburg mit ihrem ablehnenden Verweis
auf die „zwei- bis dreijährige Dienstzeit" in Freiburg in Erinnerung ruft, ist der Rednerin
schon lange ein Streitpunkt. Zwar führe „die Verbreitung der allgemeinen
Wehrpflicht", so sagt sie in einer früheren Schrift, „materiell die Annäherung an das
Volksheer herbei. Aber dies in der Form eines modernen Militarismus, wo die Beherrschung
des Volkes durch den Militärstaat, der Klassencharakter des Volkes am
grellsten zum Ausdruck kommt."47 Für Rosa Luxemburg ist die Verbindung von allgemeiner
Wehrpflicht einerseits und Stabilisierung des Klassensystems andererseits
leicht belegbar. Der Arbeiter, der als Zivilist den Militarismus in Form indirekter
Steuern bereits selbst finanziert habe, werde als Soldat darüber hinaus zu einem
Werkzeug, „womit der kapitalistische Staat jede seiner [des Arbeiters] Regungen zum
Zwecke der Verbesserung seiner Lage (Aufstände, Koalitionen usf.) niederhalten, nötigenfalls
im Blute ersticken, also dieselbe Aufbesserung der Lage vereiteln kann".48
Somit werde der Arbeiter in Uniform „zum sichersten Pfeiler der Reaktion überhaupt
, also der eigenen Versklavung".

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