http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1996/0173
Freiburger Vorgeschichte
zum badischen Landtagswahljahr 1909:
Wilhelm Adam Karl — ein Freiburger Diakonissenhaus-
pfarrer auf dem Wege zum politischen Mandat
Motivationen — Koalitionen Impressionen des Karlismus
Von
Rolf Schade
Im Vorwort zu seiner Naumann-Biographie schreibt Theodor Heuss im Blick auf
seine Untersuchung, sie habe in manchen Abschnitten Fragestellungen zu behandeln,
die dem Leser fremd geworden seien, und er fragt sich, ob es sich rechtfertige, „theologischen
, parteipolitischen Erörterungen aus der Zeit der Jahrhundertwende breiteren
Raum zu gewähren". Er beantwortet die Frage: es „durften, um Naumanns Entwicklungen
zu zeigen, nicht die Elemente vernachlässigt werden, die ihm wichtig
waren, auch wenn sie für ein späteres Bewußtsein versunken sind."1
Dieselbe grundsätzliche Erwägung stellt sich ein, wenn heute mit einem Zeitabstand
von rund 85 Jahren eine Annäherung an das Lebenswerk des Pfarrers Wilhelm
Adam Karl versucht werden soll, der 1906 bis 1909 Vorsteher des Freiburger Diakonissenhauses
war,2
Weniger das Biographische, viel eher Fragestellungen und Antwortversuche seiner
Zeit zwischen Jahrhundertwende und Beginn des Ersten Weltkrieges sind es, die hier
von Interesse sind. Es ergeben sich dabei erstaunliche, vom punktuellen Ausgangspunkt
her nicht erwartete Ausblicke „auf jene geistigen Strömungen, die in den sozio-
politischen Auseinandersetzungen der Vergangenheit für politische Freiheit und soziale
Gerechtigkeit" eine Rolle gespielt haben. Daß dabei auch ein Blick auf das
gesellschaftspolitische Leben in Freiburg im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts
das Ringen um konservative und liberale Positionen innerhalb und außerhalb der
evangelischen Kirche erkennen läßt, fügt sich in den Unterbau der Begründung für
die scheinbar so anachronistische Thematik dieser Untersuchung gut ein: „,. . die
Beschränkung auf einen überschaubaren Sektor Staats- und kirchenpolitischen Kampfes
auf ausgewählte gesellschaftliche Institutionen und Kräfte .... bietet vom Ansatz
her die Chance, tieferliegenden Ursachen der geschichtlichen Ereignisse im Detail
nachzuspüren"3
L „Karlismus"
Um eine überschaubare Staats- und kirchenpolitische Bewegung handelte es sich bei
den ehedem im liberalen Spektrum beheimateten, um die Jahrhundertwende dort
171
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1996/0173