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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
115.1996
Seite: 212
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desgerichtspräsidenten und späteren Staatssekretär im Reichsjustizministerium Rothenberger
zurück, der die Vor- und Nachschau bereits im Mai 1942 in Hamburg eingeführt
und erprobt hatte. Dabei handelte es sich um gemeinsame Sitzungen von
Richtern und Staatsanwälten, in denen ergangene Urteile erörtert und anstehende Ver-
fahren besprochen wurden,22 was einen Rechtsanwalt zu der Äußerung veranlaßte,
„die Urteile würden ja schon in der Vorschau festgelegt".23 In Danzig gab es ebenfalls
schon eine ähnliche Einrichtung. Von dort meldete dann auch der Reichsstatthalter
eine „erfreuliche Angleichung der Rechtsprechung", auch seien die Sondergerichtsurteile
„gleich scharf4.24

Doch der SS-Führung ging die Aussicht auf künftige Urteilsverschärfungen immer
noch nicht weit genug. Schon zuvor hatten Gestapo und SS auf ihnen nicht genehme
Urteile mit ihrer Art von „Urteilskorrektur" reagiert: Nach der Verhandlung wurden
die Betroffenen ergriffen und erschossen oder nach Verbüßung ihrer Haftstrafen sogenannten
„staatspolizeilichen Maßnahmen" zugeführt, was im Klartext hieß, in ein
Konzentrationslager verschleppt zu werden.25 Schließlich kam es am 18. September
1942 zu einer Ubereinkunft zwischen dem Reichsführer SS Himmler und dem
Reichsjustizminister Thierack: „Auslieferung asozialer Elemente aus dem Strafvollzug
an den Reichsführer SS zur Vernichtung durch Arbeit. Es werden restlos ausgeliefert
die Sicherungsverwahrten, Juden, Zigeuner, Russen und Ukrainer, Polen über
3 Jahre Strafe, Tschechen und Deutsche über 8 Jahre Strafe nach Entscheidung des
Reichsjustizministeriums "26

Welches Justizverständnis ein Reichsjustizminister Thierack besaß, zeigt sein
Schreiben vom 13. Oktober 1942 an Reichsleiter Bormann: „. , , beabsichtige ich, die
Strafverfolgung gegen Polen, Russen, Juden und Zigeuner dem Reichsführer SS zu
überlassen. Ich gehe hierbei davon aus, daß die Justiz nur im kleinen Umfange dazu
beitragen kann, Angehörige dieses Volkstums auszurotten."27

Sicher waren nicht alle Richter — selbst an den Sondergerichten — bereit, den Forderungen
nach ständigen Strafverschärfungen zu entsprechen. So bemerkte der Karlsruher
Oberlandesgerichtspräsident in seinem Lagebericht vom 30. März 1944, daß
vor allem ältere Richter sich „nicht immer zu der häufig notwendigen Härte durchreißen
" könnten.28 Eines der bekanntesten Beispiele, den Verbrechen des Regimes als
Justizangehöriger entgegenzutreten, ist der Fall des Brandenburger Amtsrichters
Kreyßig, der versuchte, die Euthanasie-Morde in seinem Bezirk zu verhindern, und
dafür in den Ruhestand versetzt wurde,29 Ein Vorsitzender Richter des Sondergerichts
Königsberg nahm sich nach der zweiten Sitzung des Sondergerichts das Leben,
„weil er es mit seinem Gewissen nicht verantworten konnte, weiterhin den Vorsitz
zu führen".30 Angesichts „überharter" Urteile — so verurteilte ein Sondergericht
einen 82jährigen als „Plünderer" zum Tode, weil dieser eine nach einem Fliegeralarm
auf der Straße liegende Pferdeleine an sich genommen hatte, um daraus einen
Gürtel und Hosenträger zu machen — wurde selbst in den „Richterbriefen" zur
Mäßigung aufgerufen.31

Doch die genannten Beispiele können nicht über das Gesamtbild hinwegtäuschen,
das die Justiz in den Jahren der braunen Diktatur bot. Waren es vor 1933 gerade drei
Tatbestände, bei denen auf Todesstrafe erkannt werden konnte, so drohten die bis zum
Jahre 1944 erlassenen Gesetze und Verordnungen in 46 Fällen die Verhängung der

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