Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
117: Der Kaiser in seiner Stadt. Maximilian I. und der Reichstag zu Freiburg 1498.1998
Seite: 42
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so wie im Worms des 13. oder im Nürnberg des 14.
Jahrhunderts. Doch diese Versammlungen heißen
„colloquium" (Besprechung), „conventus" (Zusammenkunft
), „curia" (Hof), oder gesteigert: „curia
solemnis" (feierlicher Hof), „curia generalis" (allgemeiner
Hof), „unser königlicher Hof", „unser
kaiserlicher Hof", Versammlungen, die der Herrscher
„zusammenruft" (convocare) oder von denen
er sagt, daß er sie „feiert" (celebrare). Die zu unrecht
vorgenommene unterschiedslose Benennung
aller vom König angesagter Versammlungen als
„Reichstage" hat verdeckt, daß es sich um verschiedene
Institutionen handelt, nämlich um einen älteren
Hoftag - eine Erweiterung des täglichen Hofs
-und um einen jüngeren Reichstag, der im 15. Jahrhundert
Formen einer Ständeversammlung annahm
und sich im 17. Jahrhundert noch einmal wandelte
zu einer ständigen Gesandtenkonferenz, dem „Immerwährenden
Reichstag".

Die unterschiedslose Verwendung des Begriffes
„Reichstag" ist sogar doppelt geeignet, unzutreffende
Vorstellungen zu wecken. Denn „Reichstag
" wird ja nicht allein die Ständeversammlung des
Alten Reiches genannt, so heißen vielmehr auch die
gewählten Volksvertretungen der modernen Verfassungen
vom Staaten- und Volkshaus der Paulskirchen
-Verfassung bis zum Reichstag der Weimarer
Verfassung. Und wer denkt schließlich beim
Wort „Reichstag" nicht auch an das Berliner Reichstagsgebäude
Paul Wallots von 1894, das Christo
1995 Jahren kunstvoll verhüllt hat - das Projekt
„Wrapped Reichstag"?27 Wir müssen den Reichstagsbegriff
gedanklich gleich mehrfach enthüllen,
um bis zum Freiburger Reichstag vorzudringen.

Wir dürfen nicht an ein gewähltes Parlament
denken: nicht an Abgeordnete, nicht an ein gleichmäßig
in Wahlkreise aufgeteiltes Staatsgebiet, nicht
an ein Staatsvolk als die Quelle aller Staatsgewalt,
überhaupt nicht an einen Verfassungsstaat mit geschriebener
Verfassung und Gewaltenteilung, nicht
an eine Vielzahl staatlicher Institutionen, nicht an
eine Hauptstadt und auch nicht an ein Reichstagsgebäude
. Wir müssen uns vielmehr hinter alle Formen
moderner Staatlichkeit zurückdenken in ein

sehr altertümliches Gemeinwesen, das einen altertümlichen
Namen führt - das sich „Heiliges" und
„Römisches" Reich nennt, weil seine von den deutschen
Kurfürsten gewählte monarchische Spitze
nicht bloß die deutsche Königskrone tragen, sondern
sich auch vom Papst mit der Kaiserkrone krönen
lassen sollte - mit einem Symbol, das ihn in
eine mit Augustus beginnende Herrscherreihe rückte
und zuviel ideellen Wert besaß, als daß der deutsche
König die Kaiserkrone einem anderen Monarchen
hätte überlassen dürfen. Wir müssen uns in
ein sehr ausgedehntes, aber auch sehr locker gefügtes
Reich ohne geographische Mitte zurückdenken,
dessen Teile der monarchischen Spitze sehr unterschiedlich
nahe- und zum Teil auch recht fern stehen
und sich einem ideellen Ganzen eher weniger
denn mehr verpflichtet fühlen. Aufgrund äußeren
Drucks standen die sehr rudimentären politischen
Organisationsformen des Reiches seit mehreren
Jahrzehnten auf dem Prüf stand: in den 1420er Jahren
durch die kriegerischen Hussiten, dann, im
Westen, durch die unbeschäftigten Heere der
Armagnaken, Burgunder und Franzosen, danach,
wieder im Osten, durch das Ungarn des Matthias
Corvinus und vor allem die mächtig vorwärtsdrängenden
Türken des Osmanenreiches. Die rudimentären
Organisationsformen bestanden in erster
Linie aus dem König und seinem Hof. Der
König mit seinem Hof bildete die politische Mitte
des Reiches. Diese Mitte war freilich nicht ortsfest,
sondern zog umher und erweiterte sich fallweise
durch die Zuziehung derer, deren Rat und Hilfe
jeweils nützlich oder tunlich erschien und die auf
diese Weise in die Königsherrschaft integriert wurden
. Hier, am Hof, wurde Recht gesprochen, Streit
geschlichtet, Macht ausbalanciert, über politische
Aktionen und Reaktionen entschieden, wurden
Belehnungen vorgenommen, wurde Legitimität
produziert'. Rief der König eine große Zahl von
Reichsfürsten und andere Glieder oder Untertanen
des Reiches zur Beratung und Hilfsforderung zusammen
, zog er etwa auch den Legaten des Papstes
, die Gesandten anderer Könige und Mächte
hinzu, dann hielt er „feierlichen Hof" oder einen


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