Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
117: Der Kaiser in seiner Stadt. Maximilian I. und der Reichstag zu Freiburg 1498.1998
Seite: 324
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1998/0326
ganz ohne Zweifel zu den hervorragenden Köpfen
zählte und seine ganze Existenz auf diese Fähigkeit
gründete, hat während seiner Studien in Basel, Freiburg
, Ingolstadt, Bologna und anderen italienischen
Universitäten keinen akademischen Grad erworben
. Denn dafür hätte er genau das Studienprogramm
absolvieren müssen, das er ablehnte. Das
reguläre, für die Graduierung in der Artistenfakultät
als baccalaureus artium und danach als magister
artium erforderte Pensum umfaßte in Freiburg zum
Beispiel - anderswo war dies nicht grundsätzlich
anders - ganz überwiegend die aristotelische Logik
und Naturphilosophie. Die mathematischen
und die sprachlichen Fächer erscheinen regelrecht
marginalisiert: die mathematischen Fächer wurden
im ersten Jahr an zwölf Tagen, im zweiten Jahr in
zwölf Wochen jeweils nachmittags gelesen, Grammatik
im ersten Jahr in zwölf und Rhetorik in zwei
Wochen, im zweiten Jahr überhaupt nicht. Auch
die platonische und insbesondere neuplatonische
Philosophie, aus der heraus Celtis und Locher ihre
Auffassung von der Rolle des Dichters und der
Dichtung entwickelten, war nicht Gegenstand des
Unterrichts, den man zur Vorbereitung auf die Prüfungen
absolviert haben mußte. Wer über humanistische
Themen und Autoren lesen oder hören wollte
, mußte dies außerhalb des regulären, „formalen"
Prüfungsstoffes und außerhalb Zeiten der „formalen
" Lehrveranstaltungen tun. Die Humanisten-
lektur war in Freiburg darum auch nicht einer der
vier Fakultäten zugeordnet - die raison d'etre einer
Fakultät ist das Graduieren -, sondern wurde unmittelbar
vom Senat besetzt. Der poeta las für Hörer
aller Fakultäten. Seine Anstellung durch den
Senat aufgrund der fehlenden Fakultätszugehörigkeit
bedeutete natürlich auch, daß er außerhalb
aller kollegialen Strukturen des Lehrkörpers,
der Gremien und Amter der universitären Selbstbestimmung
, stand und kein vollberechtigtes Mitglied
des Kollegiums sein konnte. Folglich war auch
die Zusicherung, die den poetae laureati bei der
Dichterkrönung urkundlich verbrieft wurde, daß
sie bei allen Auftritten innerhalb und außerhalb der
Universität entprechend ihrer neuen Würde (digni-
tas) plaziert werden sollten, nicht ohne schwere

Konflikte zu verwirklichen. Denn wo noch stets -
bei jeder Sitzung, jeder Abstimmung und bei jedem
Auftritt - die Sessions- und Prozessionsordnung
vom Rang der Fakultäten und der akademischen
Grade und vom Termin ihres Erwerbs bestimmt
wurde, konnte ein Poet und erst recht ein Nicht-
graduierter wie Jakob Locher eigentlich überhaupt
nicht eingereiht werden. Heinrich Glarean, der
Basler poeta laureatus, der auch den Magistergrad
besaß, wollte sich keineswegs diesem Grad entsprechend
lozieren lassen, sondern beanspruchte einen
höherrangigen Platz. Weil die Professoren ihm aber
einen akzeptablen Platz nicht anboten, ritt er zu
einer Disputation, die über ein Thema aus der Logik
veranstaltet wurde, zu Pferd in die Aula und
blieb im Sattel sitzen. (So weit berichtet Beatus
Rhenanus dem Erasmus die Begebenheit. Den Rest
mochte er ihm nicht zumuten. Ihn notierte Oswald
Myconius.) Das Pferd soll es nicht unterlassen haben
, die Aula zu verunreinigen (foedissime cacaret)
- „aus Überdruß an einer solchen Disputation"31,
den sein humanistischer Reiter selbstverständlich
empfunden haben dürfte. Wenn ein poeta wie Locher
aufgrund seines neuplatonischen Verständnisses
der Dichtung als göttlich inspirierter „erster"
Theologe seine Würde selber sehr hoch einstufte
und sich am liebsten gar nicht mit den Artisten vergleichen
wollte, der rangniedrigsten Fakultät, sondern
viel eher mit der höchsten, den Theologen,
dann mußte jede eingespielte Ordnung durcheinander
geraten. Die Ingolstädter Akten sind hier in
Bezug auf Locher beredter als die Freiburger.32 Aus
den letzteren erfahren wir immerhin, daß Locher
in Freiburg auch festtags öffentlich las. Er tat dies
wohl nicht nur, um die Raum- und Terminnot zu
demonstrieren, in die die Humanisten stets getrieben
wurden, da sie Kollisionen mit den Pflichtveranstaltungen
der Fakultäten zu vermeiden hatten
, sondern um eine Art poetischen Gottesdienstes
zu zelebrieren. In Ingolstadt ließ Locher sogar
die Glocken läuten, was ihm der Senat mehrfach
untersagte.33 In Freiburg verwehrte man ihm die
öffentlichen Vorlesungen an Festtagen.34

Münzthaler repräsentierte, wie gesagt, einen
völlig anderen Typus des Lehrers humanistischer

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