Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
117: Der Kaiser in seiner Stadt. Maximilian I. und der Reichstag zu Freiburg 1498.1998
Seite: 440
(PDF, 95 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1998/0442
Detlef Zinke - Die Randzeichnungen Baldungs

tante Verletzung des Sechsten Gebots: Du sollst
nicht ehebrechen! zum Anlaß seiner unheilschwangeren
Klage genommen? Doch gemach, hier immerhin
wird dem Laster strikt Einhalt geboten: Castitas
überwindet Luxuria schließlich, theologisch gesprochen
, und alle Verführungskunst des „von Natur
aus" triebhaften Weibes wird am Widerstand des
Tugendhelden zuschanden. Der exemplarische
Mann, willensstark, fest im Glauben und begabt mit
Vernunft, ist eben keineswegs ein Sklave seiner Lust,
lautet die tröstliche Botschaft, wie sehr auch zugleich
, letztlich kaum mehr verhohlen, der Voyeur
im Betrachter animiert werden mag. Denn gerade
die überzeugendste Mahnung schließt den sinnlichen
Reiz auf paradoxe Weise mit ein, muß herzeigen
, was doch mit Verboten belegt ist.29

Das Bildsujet, soweit wie hier das glaubhafte
körperliche Verlangen den moralisierend-lehrhaf-
ten Inhalt beinahe vergessen macht und seiner so
manches Mal sicher nur noch als Vorwand bedarf,
ist nach unserer Kenntnis in der deutschen Kunst
bis dahin ohne Beispiel. Außerhalb historischer
oder typologischer Zyklen war es wohl überhaupt
nicht geläufig, und erst die profane Ausstattungskunst
von Renaissance und Barock scheint das Thema
mit seiner spezifisch erotischen Ausstrahlung
vollends in Besitz genommen zu haben.30 Vermutlich
hat man also auch diese Bildschöpfung
Baldungs in ihrem Anspruch als ungewöhnlich
empfunden.

3. Venus und Amor

Lage 11, fol. 61r, Seitensteg (Abb. 4)

Halbfigur der Liebesgöttin Venus, die nach Art
antiker Grotesken einem stilisierten Blätter- oder
Wasser(?)-Wirbel entsteigt und mit einer Schamgebärde
die Brüste bedeckt hält. Sie blickt auf den
über ihr schwebenden Amor, der Liebespfeile bei
sich trägt; nicht nur die Flügel, auch der in einem
wurmartigen Fortsatz endigende Leib ist der eines
Vogels. Die Darstellung flankiert den Schluß des
„Gesangs der drei Jünglinge" (Vers 88) mit erweiternden
Benediktionen, dazu zwei marianische

Antiphonen und den Beginn von Psalm 148 mit
weiteren Lobpreisungen Gottes.

Für die Annahme, mit der Unterzeile der Antiphon
„quia per te fructum vite comitavimus - weil
wir durch Dich [d.h. Maria] die Frucht des Lebens
genießen" sei das Bild ausreichend motiviert,31
spricht nach unseren Ausführungen zum thematischen
Zusammenhang vorerst wenig. Als Allegorie
himmlischer Liebe geht die in ihren Bestandteilenweithin
eindeutige Komposition selbstverständlich
nicht durch.32 Setzen wir also grundlegend voraus
, Baidung habe noch einmal das angeschlagene
Thema, diesmal in antikischer Form, variiert.
Immerhin könnte ihn der eigentlich auf Maria gemünzte
Lobpreis weiblicher Anmut in der Antiphon
„pulchra es - schön bist Du" bei seinem
Vorgehen bestärkt haben: Venus ist nun mal seit
alters die Verkörperung der gestaltschönen Frau,
um so mehr in Zeiten, die der Antike eine normsetzende
Kraft zubilligen. Ahnlich umschreibt es
auch Dürer in seinem geplanten Lehrbuch der Malerei
, nur wenige Jahre zuvor: „Vnd wy sy [d.h. Griechen
und Römer] prawcht haben Fenus als das
schönste weib, also woll wir dy selb tzirlich gestalt
krewschlich [d.h. fein] darlegen der aller reinesten
jungfrawen Maria, der muter gottes."33

Indessen, Dürers allzu fromme, nur das Kunstschöne
definierende Gleichung weiß nichts von der
Gefahr, die von Venus, Göttin der Liebe und Inbegriff
sinnlicher Verlockung, ja zuallererst ausgeht.
Baidung wäre nicht er selbst, hätte er nicht gerade
auch diese, durchaus ambivalente Warnung aussprechen
wollen. Seine lebenslange obsessive Beschäftigung
mit dem Motiv des nackten weiblichen Körpers
- mal leichtfertige Liebesgöttin, mal Ursün-
derin Eva, mal wilde, sexuell freizügige Hexe, verführerisch
-zerstörerisch sie alle - läßt kaum einen
anderen Schluß zu. Und so verstanden ist Frau Venus
dann auch weniger das antike Ebenbild Mariens
nach Dürerscher Weise, sondern tritt weit eher als
heilsbedrohliche Gegenspielerin auf, deren
„Frucht" nun wahrhaftig nicht dasjenige „Leben"
ist, auf das der Beter in seiner Jenseitsgewißheit
vertraut. Aus der Antithese vielmehr erschließt sich
noch einmal der Sinn: Entspricht es denn nicht ge-

440


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1998/0442