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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
117: Der Kaiser in seiner Stadt. Maximilian I. und der Reichstag zu Freiburg 1498.1998
Seite: 442
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland1998/0444
Detlef Zinke - Die Randzeichnungen Baldungs

omnem iram - Du hast all ihre Sünden zugedeckt.
Deinen Zorn hast Du besänftigt", sowie „Ostende
nobis domine misericordiam tuam - Herr, zeig uns
Deine Barmherzigkeit". Zum Gebetspensum der
Prim gehörig, das auf fol.69r einsetzt.

Den „rätselhaften" Zeichen zum Auftakt läßt
hier Baidung überraschenderweise ein Bildpaar folgen
, dessen Textbezug auf Anhieb erkannt wird und
einer Kommentierung kaum noch bedarf. Um der
sündigen Menschheit willen hat Christus den Kreuzestod
auf sich genommen, an den Gedemütigten
und Gekreuzigten ist folglich ihr Bitten und Flehen
gerichtet. Doch sollen wir nicht außer acht lassen
, daß auch die Jungfrau Maria, wie es die spätmittelalterliche
Frömmigkeitspraxis besagt, ihren
Teil zum Erlösungswerk beitrug. Als Mit-Leiden-
de und Mittlerin war die Mutter Jesu ja stets eine
Instanz, an die sich die Menschen vertrauensvoll
wenden durften, geeint in dem Glauben, sie werde
beim Herrn ihre Fürbitte einlegen und so sein Erbarmen
erwirken. In Baldungs ergreifender Pietä,
die schon von Herkunft weit mehr ist als ein bloßes
Situationsbild der Leidensgeschichte, läßt sich
wohl diese Zusatzbotschaft vernehmen. Aber auch
die außergewöhnliche Gestalt - wo sonst wäre
Christus derart losgelöst von der Mutter dem nackten
Erdboden anvertraut? - vermag im Wortbezug
eine Erklärung zu finden. „Veritas de terra orta est:
et iusticia de celo prospexit - Aus der Erde sprießt
die Wahrheit, und Gerechtigkeit blickt hernieder
vom Himmel" (Ps. 84,12) lautet, umseitig, die maßgebliche
Zeile, die den Zeichner ohne weiteres zu
seiner bezwingenden antithetischen Bildformel inspiriert
haben kann.

Die kühne künstlerische Umsetzung ist es, kaum
die Thematik, die das Interesse des modernen Betrachters
wirklich hervorruft. Soll man nun den
forcierten Tiefenzug, die Verkürzungen, den Ausblick
in landschaftliche Weiten, angesichts des
Flächenzwangs als unangemessen, wenn nicht gar
störend empfinden? Oder nicht vielmehr die
Virtuosität bewundern, mit welcher der Meister den
ungünstigen Bildformaten auch in der dramatischpathetischen
Vergegenwärtigung des Geschehens
das Äußerste abzugewinnen weiß? Beim schräggestellten
Kruzifixus hat er sich dabei eines ursprünglich
niederländischen Typus besonnen, den bereits
der junge Dürer in seinem Schmerzenmutterreta-
bel von etwa 1495/96 aufgenommen,38 Lucas Cra-
nach 1503 dann mit expressionistischer Wucht noch
gesteigert hatte.39 Erheblich eigenständiger, nicht
minder monumental, ist jene eindrucksvolle
Beweinungsszene, die auf ein epochales Perspek-
tiv-Kunststück des Mantegna - seinen „Cristo in
scurto"40 - zurückverweist und zugleich Holbeins
beklemmenden Basler Christus im Grabe41 anzukündigen
scheint. Die Komposition verlangt geradezu
nach der großen Form, ist weniger Erfüllung
denn ein Versprechen.42

5. Trunkener Bacchus oder Silenus
Lage 13, fol. 73v, Fuß- und Seitensteg (Abb. 6)

Der nackte, feiste Bacchus(?), Gott des Weines, liegt
rücklings auf dem Boden. Assistierende nackte
Knäblein tollen um ihn herum, eines gießt dem
Berauschten den Inhalt einer Flasche in den Mund.
Seitlich wächst ein mit schweren Trauben behängter
Weinstock auf. Im Text setzt sich das auf fol.
73r (ohne Illustration) beginnende Gebet zur Prim
„Exaudi nos deus salutaris noster - Erhöre uns, o
Gott, Du unser Heil" fort, das die Zuversicht in
die Fürsprache der Heiligen und in die Fürsorge
des Herrn artikuliert.

Die Forschung tat sich lange Zeit schwer,
Baldungs Bild praller, orgiastischer Sinnenlust mit
dem zitierten Bittgebet in Einklang zu bringen. Ob
in der Zeile „et ab ecclesia tua cunctam repeile
nequitiam - und halte von Deiner Kirche alle
Liederlichkeit fern" der rechte Interpretationsansatz
gefunden ist, mag vielleicht kontrovers diskutiert
werden. Doch hat er fraglos große Vorzüge.
Denn nach uraltem christlichem Verständnis ist die
Traube bekanntlich auch ein Symbol der Eucharistie
, des Opferbluts Christi (vgl. Mt. 26,27-29), und
die Annahme, der Zeichner habe in satirischer Absicht
auf den Mißbrauch dieses Gottesgeschenks
und kirchlichen Gnadenmittels aufmerksam machen
wollen, hätte zumindest ihre theologische,

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