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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
119.2000
Seite: 97
(PDF, 35 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2000/0099
spielte mit der Religiosität bzw. mit religiösen Denk» und Handlungsmustern anderer
, Konkreter: Sie nutzte die Hoffnung von Geistlichen beider Konfessionen aus, die
eine Seele retten wollten und letztlich damit nur den Unterhalt der falschen Konvertitin
sicherten - und sie im Falle Rottweils eine Todsünde begehen ließen. Catharina
Baumännin wußte auch den Konfessionskönflikt für ihre Zwecke zu nutzen. Ihr war
offenkundig bewußt, daß es für die Geistlichen, die sie unterrichteten, eine Bestätigung
der Wahrheit ihrer Konfession war, wenn sie eine Jüdin bekehrten. Wiederholt
betonte die in Glaubensfragen zunehmend versierte Scheinkonvertitin gegenüber
Geistlichen, daß sie bewußt zu deren Konfession übertreten wolle und begründete
mitunter sogar, warum sie die „gegnerische" Konfession ablehnte. Bemerkte sie, daß
diese Argumente nicht ausreichten, appellierte sie an das Mitleid des jeweiligen
Geistlichen oder Vertreters der weltlichen Obrigkeit, indem sie berichtete, von ihrem
jüdischen Mann wegen ihrer Konversionsabsicht gefangen gehalten oder gar geschlagen
worden zu sein und noch von Familienangehörigen verfolgt zu werden,
Dem SpezialSuperintendenten von Wildbad erzählte sie beispielsweise, sie sei in der
Synagoge von Friesenheim eingesperrt gewesen und habe sich nur durch einen gefährlichen
Sprung („stockh hoch") befreien können. Auch mit der Gier ihrer Beherberger
scheint sie kalkuliert zu haben, ließ doch mitunter verlauten, ihr winke ein
großes Erbe, und dieses sicher nicht zum Schaden des Klosters oder der Landeskirche
, bei dem bzw. der sie sich angeblich bekehren lassen wollte.

Dieses Vorgehen bedeutet, daß wir es hier keineswegs mit einer in traditionellen
Glaubenswelten verstrickten oder durch die Konfessionalisierung in ihrem Verhalten
disziplinierten Person zu tun haben. Sie war in der Lage, das Verhalten und die
Motive von Geistlichen und Vertretern der weltlichen Obrigkeit zu analysieren und
aus deren Verhalten Vorteile für sich zu ziehen. Wir haben zu bedenken, daß um das
Jahr 1730 die Konfessionalisierung als „Prozeß der Akkulturation"47 noch anhielt,
Gemeint ist damit eine Disziplinierung der Gläubigen im Sinne der Doktrinen der
jeweiligen Konfession bis hin zur Internalisierung von kirchlich bestimmten Werten
und Verhaltensnormen.48 Auch wenn das Ende der Konfessionalisierung oft noch mit
dem Jahr 1648 gleichgesetzt wird, so ist doch wiederholt betont worden, daß die
Durchsetzung und Internalisierung der neuen konfessionsbestimmten Normen bis
weit in das 18. Jahrhundert hineinreichte, ja im Katholizismus in der ersten Hälfte
des 18. Jahrhunderts erst ihren Höhepunkt erreichte.49

Der Fall der falschen Konvertiten und Catharina Baumännins im besonderen zeigt
an konkreten Beispielen die Grenzen der Normierungs- und Formierungskapazitäten
der Konfessionen auf. Fälle dieser Art mahnen, die Handlungsmöglichkeiten der
fnihneuzeitlichen Menschen nicht zu eng zu ziehen und ihre Kreativität nicht zu
unterschätzen. Martin Dinges regt an: „In der Kulturgeschichte sollte man den historischen
Subjekten mehr Phantasie zutrauen. Eine Sozialgeschichte der Kultur, die
die relative Freiheit der historischen Subjekte ernst nimmt, muß die letztlich modernisierungstheoretisch
inspirierte Glättung der Geschichte hinter sich lassen.4'50 Gerade
„Randerscheinungen" wie die falschen Konvertiten sind geeignet, die Band-
breite der Handlungsmöglichkeiten in einer Gesellschaft auszuloten. Uber den unbestreitbaren
Tatbestand hinaus, daß ihr konkretes Handeln keineswegs alltäglich
war, sind ihre Handlungsmuster durchaus von repräsentativer Bedeutung. Sie zeigen,

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