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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
119.2000
Seite: 124
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Zweitens muß aber betont werden, daß die Trennung zwischen Front und Heimat
im doppelten Sinn unhaltbar ist, nicht nur hinsichtlich der vom Krieg ausgelösten
Folgen für diejenigen, die zurückblieben oder heimkehrten. Die Folgen
des Krieges wirkten in beiden Richtungen. Will man das militärische Ergebnis dieses
Konfliktes erklären, ist eine Analyse der Heimatzustände wohl relevanter als
eine Auseinandersetzung mit den taktischen oder strategischen Fehlern der deutschen
militärischen Führung.23 Man braucht nicht der Dolchstoßlegende Glauben
zu schenken, um die ungeheure Bedeutung der Heimat für den operativen Erfolg
der Feldarmeen zu erkennen. In Freiburg herrschten im Herbst 1918, wie ein städtischer
Beamter vermerkte, „die gänzlich in Verwirrung geratenen wirtschaftlichen
Verhältnisse [und] die immer stärker in Erscheinung tretende Erschöpfung aller
unser Nahrungs- und Rohstoffvorräte".24 Dieser Zustand, der auch zahllose andere
deutsche Orte charakterisierte, die den Krieg jeweils auf ihre besondere Art und
Weise erlebt hatten, fand seinen direkten Niederschlag in den entscheidenden
Schlachten des letzten Kriegsjahres, als eine klaffende Lücke entstand zwischen
den grandiosen operativen Zielen der OHL und den zur Verfügung stehenden Mitteln
, sowohl den menschlichen als auch den materiellen. Auch mit Hinsicht auf das
Ausmaß, in dem die Frontkämpfer auf die Unterstützung der Heimat angewiesen
waren, kann man also von einem „totalen Krieg" reden. Der Schluß liegt nahe: Der
totale Krieg erfordert die totale Geschichte. Sonst ist die Geschichte dieses Krieges
nicht zu verstehen.

Hier ist schließlich aber ein methodologischer Vorbehalt zu verzeichnen, der einer
gewissen Skepsis am Begriff des totalen Krieges entspringt.25 Die saubere Trennung
von Front und Heimat ist ein historischer Mythos, den auch der Begriff des totalen
Krieges weitgehend untermauert hat. Die Uberzeugung, daß jegliche Kriegsführung
schwerwiegende, umfassende Folgen für Zivilistinnen in der Heimat mit sich bringt
und daß der Krieg nicht ohne ihre intensive Unterstützung geführt werden kann, sind
keine Erfindungen des zwanzigsten Jahrhunderts und der ihm angeblich eigenen totalen
Kriegsform. Der totale Krieg, könnte man sagen, stellt eher eine quantitative
als eine qualitative Ubersteigerung der Mechanismen und Tendenzen dar, die den
Krieg seit jeher geprägt haben. Der Krieg ist eine Erscheinung, die stets - ob im
zwanzigsten Jahrhundert oder, wie wir spätestens seit Hans Delbrück wissen, im
fünften Jahrhundert v. Chr. - in einem breiteren sozialwirtschaftlichen, politischen
und kulturellen Kontext verankert ist.

Ebenso ist die Militärgeschichte fest in einem größeren geschichtswissenschaftlichen
Kontext verankert. Sie ist ein großer Bereich, in dem nicht nur die Historikerinnen
zuhause sind, die sich vornehmlich der Operationsgeschichte widmen,
sondern auch diejenigen, die sich für die historischen Voraussetzungen und Folgen
dieser Operationen in Politik, Gesellschaft und Kultur interessieren. Ihr gemeinsames
Betreben sollte aber vor allem durch das akute Bewußtsein der mehrfachen In-
terdependenzen zwischen Krieg und Kontext, oder wenn man so will, zwischen
„evenement" und „conjuncture" gekennzeichnet werden. In diesem Bestreben kann
die Militärgeschichte in all ihren Zweigen, gleichgültig ob sie ihren Gegenstand in
der modernen oder der vormodernen Zeit findet, erst recht den Anspruch erheben,
totale Geschichte zu sein.

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