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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
119.2000
Seite: 138
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Ob diese deutliche Haltung des Pfarrers auf die Gemeinde eingewirkt hat, ob sie
die so verhängnisvolle Entsolidarisierung von den jüdischen Mitbürgern bewirkt hat,
läßt sich nicht direkt nachweisen. Öffentlich aufgeschrieben wurde so etwas nicht.

Das Wahlergebnis der letzten noch halbwegs freien Reichstags wähl vom 5. März
1933 zeigt in Sulzburg eine Besonderheit, und läßt vielleicht einen Schluß zu. Die
NSDAP wurde mit ca. 45 % stärkste Partei und war damit in Sulzburg erfolgreicher
als in den meisten Nachbarorten. Zweitstärkste Partei wurde mit 12% der Evangelische
Volksdienst, der sonst weit und breit auch in evangelischen Orten nur eine Splittergruppe
blieb. Diese Partei stand der NSDAP kritisch gegenüber, war aber konservativ
, national und antisemitisch. War dieses Wahlergebnis die Folge der besonderen
Situation in Sulzburg?

Bei der nächsten Wahl waren dann außer der NSDAP alle Parteien verboten.
Deutschland wurde Schritt für Schritt nationalsozialistisch.

Abschließend soll uns ein Satz zu denken geben, der 1937 im letzten Visitationsbericht
der Sulzburger Kirchengemeinde vor dem Ende des Dritten Reiches steht,
und der ganz harmlos klingt. Zu den Angaben über die Anzahl der Sulzburger Bevölkerung
schreibt der Pfarrer: „Soviel ist sicher, daß die Zahl der Israeliten hier
nach dem Aufbruch des Dritten Reiches durch Wegzug ins Ausland zurückgegangen
ist."

Was sagt der Pfarrer da, und was haben die Sulzburger dazu gesagt? Hat einer von
ihnen gemeint, die Sulzburger Juden seien in ihre Villen im Tessin verzogen?

Die Sulzburger kannten ihre jüdischen Nachbarn, mit denen sie von Kindheit an
zusammengelebt hatten. Sie hatten erlebt, wie der jüdische Zahnarzt Bloch brutal zusammengeschlagen
wurde und die Stadt verließ. Sie hatten den von der Partei angeordneten
Boykott der jüdischen Geschäfte am 1. April 1933 vor Augen und die Schikanen
jüdischer Mitbürger durch die SA. „Wer noch beim Juden kauft, verrät das
Vaterland", stand an den Schaufensterscheiben.

Die Sulzburger Juden waren ins Ausland verzogen?

Vielleicht wußten nicht alle Sulzburger, was genau mit den jüdischen Mitbürgern
geschah. Daß ihnen Unrecht geschah, wußten alle. Es war ja langsam angegangen.
Zuerst hatte man sich geschämt für das, was andere taten. Man hatte weggesehen.
Man konnte ja doch nicht helfen. Die wenigen, die halfen, kriegten Schwierigkeiten.
Dann wurde es gefährlich und man hatte sich gefürchtet und von allem nichts mehr
wissen wollen. Und damit hatten die Schlägertrupps freie Hand.

Die Älteren, die diese Zeit miterlebt haben, die das alles in sich zugedeckt haben und
nicht mehr daran denken wollen, könnten den Jüngeren eine Hilfe geben, die nur
von ihnen kommen kann. Sie könnten ein Stück Erfahrung weitergeben. Keine erfreuliche
Erfahrung, sondern ein Stück schwere, belastende Erfahrung. Sie sollten
sich wieder erinnern, wie es gekommen ist, und das Schweigen endlich aufgeben.
Sie sollten uns sagen, wie schnell man durch Nichtstun hilflos wird, wie schnell die
ganz normale Anständigkeit verblaßt, wenn Angst einen befällt.

Sie haben erlebt und fühlen es doch im Grunde, daß sie schuldig geworden sind,
als sie die Menschenwürde der verachteten jüdischen Nachbarn nicht mehr vertei-

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