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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
119.2000
Seite: 143
(PDF, 35 MB)
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„Musterschüler-Tat" brüsteten sie sich danach, daß ihre Gaue nunmehr Judenrein44
seien.2

Die Aktion war - wie bereits erwähnt - vorab sorgfältig organisiert worden, Schon
am 15. Oktober waren die Landratsämter vom Badischen Innenministerium unter
dem Siegel der Geheimhaltung über den bevorstehenden Abtransport der Juden informiert
worden: Am 22. Oktober standen Schutzpolizisten und Gestapobeamte mit
Adressenlisten und Fahrzeugen - auch der Wehrmacht - um 530 Uhr bereit, um auszuschwärmen
, jüdische Menschen aus ihren Wohnungen zu holen und sie zunächst
zu Sammelplätzen in den größeren Städten zu schaffen. Von dort wurden sie zu
Bahnhöfen gebracht und in von der SS bewachte Züge verladen. Auch Säuglinge mit
ihren Müttern, Greise in Altersheimen und selbst nicht gehfahige Schwerkranke trieben
die Schergen gnadenlos zusammen. Nur wenige Ausnahmen wurden gemacht.
Lediglich jüdische Partner in sogenannten „Mischehen" blieben verschont.

Natürlich war die Bestürzung und Verzweiflung der von diesem unmenschlichen
Willkürakt betroffenen Menschen groß* Viele Stufen der Verfolgung hatten sie schon
seit 1933 erleben müssen: von Geschäftsboykott, Entrechtung, Diskriminierung und
Enteignung in der Form der „Arisierungen44 über die sogenannte „Reichskristallnacht44
und die anschließende mehrwöchige Gefangenschaft von Tausenden jüdischer
Männer in KZs bis hin zur Deportation der osteuropäischen Juden. Dennoch
hatten sie nicht wie viele andere Leidensgenossen ins Exil gehen wollen - oder können
.3 Immer in der unwahrscheinlichen Hoffnung, daß es doch nicht zum Schlimmsten
kommen würde, hatten sie ausgeharrt. Aber was für viele unvorstellbar war, trat
nun ein. Binnen weniger Stunden, manchmal sogar nur Minuten, hatten sie ihr Heim,
ihre Heimat, die Beziehungen und Errungenschaften ihres ganzen bisherigen Lebens
aufzugeben und praktisch mittellos einem - für sie damals - ungewissen, ja lebensgefährlichen
Schicksal entgegenzusehen.

Einige konnten diese Vergewaltigung nicht ertragen oder wollten sich dem
Schicksal nicht ausliefern. Sie wählten den Freitod. Auch in Freiburg kam es zu zwei
solchen Verzweiflungstaten: Einfühlsam und eindringlich hat Professor Ott in seinem
Büchlein „Laubhüttenfest 1940" dargestellt, was Therese Loewy, die Witwe des
von den Nazis aus dem Amt getriebenen Mathematikprofessors Alfred Loewy, be-
wog, sich die Pulsadern aufzuschneiden, nachdem ihr frühmorgens am 22, Oktober
Polizeibeamte die Deportation angekündigt und zwei Stunden Zeit zum Packen eingeräumt
hatten.4 Lange Zeit unbekannt blieb, wer das zweite Selbstmordopfer war,
auf das die Polizeichronik Bezug nahm. Erst kürzlich ergaben Recherchen von Hans
Schadek, daß es sich um Max Frank aus der Glümerstr. 31 handelt, der unter dem
Druck der Nazis schon 1934 sein Geschäft für Wöchnerinnen- und Erstlings-Aussteuer
, Kinderwäsche, Kinderwagen und Kinderkleidung in der Bertoldstr. 28 hatte
schließen müssen und sich seitdem als Vertreter durchschlug.5 Allerdings auch den
Freitod ihrer Opfer hatten die Nazis einkalkuliert. Schon vor der Aktion hatten sie
nicht nur hübsch bürokratisch organisiert, was mit dem zurückgelassenen Besitz der
Deportierten geschehen sollte, sondern auch gleich vorgesorgt für den Eventualfall
des Selbstmords. In Gauleiter Wagners Verfügung wurde formuliert: Das Vermögen
der Juden, die am 22, Oktober 1940 ausgewiesen werden sollen, bei denen jedoch
die Ausweisung infolge Todesfalls am 22, Oktober 1940 oder später nicht durchge-

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