Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
119.2000
Seite: 145
(PDF, 35 MB)
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markt, viel zu leiden hatte, konnte vom Fenster ihres Klassenzimmers aus beobachten
, wie unten auf der Straße jüdische Familien in Lastwagen verladen wurden. Sie
erinnert sich noch sehr genau, wie eine Mitschülerin, die ebenfalls zusah, sagte: Das
ist der schönste Tag in meinem Leben, daß die Juden wegkommen. Frau H. ist sich
sicher, daß viele Freiburger Zeitgenossen mitbekamen, was da passierte, denn überall
in der Stadt rollten die Lastwagen an und jedermann konnte sehen, wie Juden hineinklettern
mußten, aber - so stellt Frau H. mit Bitterkeit fest: Die Leute haben das
gesehen und es war ihnen gleichgültig. Die Juden waren Verbrecher — alle waren
Verbrecher, ganz egal ™ weniger als Tiere eigentlich: Ungeziefer, Schmarotzer, hieß
es doch immer. Unter den Deportierten nach Gurs waren an jenem Tag auch zwei
Cousins des Vaters von Frau H. Der eine von ihnen hatte schon länger mit einem solchen
Schlag der Nazis gegen die Juden gerechnet und hielt immer ein Köfferchen
mit den nötigsten Utensilien parat Als die Mutter von Frau H. am Abend des 22. Oktobers
zur Wohnung der jüdischen Verwandten kam, war diese versiegelt.9 Bei Professor
Liefmann und seinen Schwestern in der Goethestraße erschien die Gestapo
am 22. Oktober erst um 9.00 Uhr.10 Gerade eine Stunde wurde den Liefmanns zum
Packen des Nötigsten gelassen, dann wurden sie schon zu einem Sammelpunkt fortgeschafft
. Möglicherweise waren die Liefmanns unter den Frauen und Männern mit
Koffern, die ein Anrufer, der sich anonym beim Stadtarchiv meldete, in der Goethestraße
beim Einladen in eine Grüne Minna beobachtet haben will.11 Noch viel später
als bei den Liefmanns, nämlich erst um 15.30 Uhr, kamen die Polizeibeamten in
die Holbeinstr. 5, wo die von den Nazis aus dem Lehrerberuf verbannte Lilli Reckendorf
bei Witwe und Tochter des jüdischen Universitätsprofessors Lenel wohnte.12
Freilich wußten die Lenels und Lilli Reckendorf da längst vom nahenden Unheil,
Bereits um 9.00 Uhr morgens hatte ihnen der Sohn von Bekannten die Nachricht gebracht
, alle Juden würden gesammelt und müßten innerhalb einer Stunde abreisen.
Sofort hatten die Frauen begonnen, zu packen und Abschied zu nehmen, immer
angstvoll auf das Klingeln der Polizei lauschend. Und dann hörten sie auch, daß auf
dem Annaplatz ein Autobus stünde, der sich bereits mit Juden, die in der Umgebung
zusammengetrieben wurden, fülle. All das berichtet Lilli Reckendorf, der es 1943
gelang, aus dem Lager Gurs herauszukommen und in die Schweiz zu fliehen, in
ihrem nachträglichen Tagebuch, das auszugsweise 1995 in der Zeitschrift „Allmende
" veröffentlicht wurde. Bei ihrer Abholung mußte Lilli Reckendorf den Polizisten
einen Revers unterschreiben, mit dem sie alle Vermögensrechte an die von den
Nazis eingerichtete „Reichsvereinigung der Juden" abtrat. Hinter den Frauen wurden
beim Verlassen des Hauses die Wohnungen mit Papierstreifen versiegelt. Unter
Polizeibewachung gingen sie zum wartenden Bus. Inzwischen war es 17.00 Uhr. Seit
13.30 Uhr, so hörte Lilli Reckendorf, saßen einige ihrer Leidensgenossen schon im
Bus. Das Fahrzeug umstanden neugierige Kinder, welche von den Beamten verscheucht
wurden. Kurz darauf fuhr der Bus Richtung Stühlinger ab.

In ihren Erinnerungen unter dem Titel „Helle Lichter auf dunklem Grund" schrieben
Marthg und Else Liefmann, daß sie in ein Schulhaus kamen, wo sie zunächst bis
zum Weitertransport festgehalten wurden.13 Bei diesem Schulhaus dürfte es sich um
das Gebäude von Hebel- und Hansjakobschule im Stühlinger gehandelt haben. Daß
diese Schule bzw. ihr Hof als das oder eines der Sammellager mißbraucht wurde, be-

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