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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
119.2000
Seite: 163
(PDF, 35 MB)
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erwartet, will sich nicht mehr demütigen und drangsalieren lassen. Er, der auf der
Liste der Gestapo bereits als Nr. 515 der nach Gurs Abzuschiebenden steht, entzieht
sich diesem Schicksal und geht freiwillig in den Tod.40

*

Notwendige Nachbemerkung: Das vergangene Jahr, mit dem der Beginn eines
neuen Jahrtausends gefeiert wurde, bot genügend und vielfach genutzte Gelegenheit
zu historischer Rückbesinnung. Einen Augenblick mochte es scheinen, als werde die
Geschichte nun doch ein wenig als vitae magistra, als Lehrmeisterin des politischen
Lebens genutzt - bis der Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion Friedrich Merz
der Öffentlichkeit seinen Begriff der „deutschen Leitkultur" präsentierte, mit dem er
augenscheinlich einen neuen und zukunftsweisenden Gedanken in die Diskussion
um die Zuwanderung nach Deutschland einzubringen meinte. Wenn schon Zuwan-
derer, so lautete die ausgegebene Devise, dann aber auch rasche Anpassung, nicht
nur als Zustimmung zum Selbstverständlichen - zum Grundgesetz und zum Erlernen
der deutschen Sprache -, sondern mehr noch: als Verinnerlichung der „deutschen
Kultur" und der dem „Abendland eigenen Werte". Der ahnungslose Vorstoß
von Merz mußte Widerspruch von historischer Seite erfahren. „Wer heute das Wort
Leitkultur benutzt", so lautet eine bündige Feststellung, „muß viel vergessen haben
von der deutschen Geschichte, die zu lieben er vorgibt. Denn an die Stelle jener humanitären
Elemente, die den Nationalideen der westlichen Nationen eigen sind, trat
bei den Deutschen [schon im 19. Jahrhundert] ein Kulturdünkel, den das Wort Leitkultur
mit häßlicher Genauigkeit trifft."41 Dieser Kulturdünkel, gepaart mit einem
diffusen kulturellen Sendungsbewußtsein, ließ damals schon den nationalistisch gestimmten
Teil des deutschen Bürgertums in künstliche Aufregung geraten über die
angeblich fehlende Anpassungsbereitschaft von Minderheiten, insbesondere der Juden
.42 Andererseits: Als diese sich der Anpassung gegen alle Widerstände befleißigten
und Gefahr bestand, daß sich der jüdische vom katholischen oder evangelischen
Bürger tatsächlich durch nichts weiter mehr als nur durch seinen Glauben und seine
Glaubensgebräuche unterschied, flüchtete man sich in den Rassismus: Anpassung
war jetzt das großangelegte Täuschungsmanöver des „blutmäßig" minderwertigen
Fremden, der unter dem Deckmantel der deutschen Kultur deutsche Geistigkeit zu
unterminieren und zu zerstören suchte. Als die Kehrseiten ein und desselben dünkelhaften
Kulturgehabes erwiesen sich so die scheinbaren Antipoden, der frühere
Anpassungsdruck und die nun zielstrebig betriebene Kennzeichnung und Ausgrenzung
als Fremde: mit den Zusatzvornamen „Sarah" und „Israel" (damit sich kein
Jude hinter deutschen Namen verstecken könne), mit dem „J" im Paß, mit dem gelben
Stern auf dem Kleid.

Gerade weil sich aber die jüdischen Bürger Freiburgs seit der Neubegründung der
Israelitischen Gemeinde43 in die städtische Gesellschaft weitgehend - und soweit
man es zuließ - integriert hatten, klammerten sich viele von ihnen auch nach 1933
an die Hoffnung, ihre Integration werde durch vermeintlich vorübergehende antisemitische
Akte nicht wirklich rückgängig zu machen sein.44 Das aber sollte ihnen zum
Verhängnis werden. Denn es zeigte sich: Daß Max Frank, Therese Loewy und die
350 anderen nach Gurs verschleppten Freiburgerinnen und Freiburger sich von deut-

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