http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2000/0249
Das am 12. Mai 1941 bei Wilhelm Eckert sichergestellte Material wurde beschlagnahmt, er
selbst in Untersuchungshaft gesteckt. Zur Demütigung mußte er seine Unterlagen mitsamt
dem Vervielfältigungsapparat auf einen Handkarren laden und diesen vor den Augen der Öffentlichkeit
quer durch die Stadt zur Polizeiwache ziehen. Neben Wilhelm Eckert wurden neun
weitere Mitglieder der „Christopherus"-Gruppe festgenommen und ohne ordentliches Verfahren
zu je drei Wochen Jugendarrest „verurteilt". Ihre Schule durften sie nicht mehr betreten.
Währenddessen begab sich die Gestapo fieberhaft auf die Suche nach vermeintlichen Drahtziehern
und Hintermännern. Aufdeckung und Niederschlagung der „Verschwörung jugendlicher
Verbrecher" nämlich sollten nach allen Regeln der NS-Propaganda ausgeschlachtet werden
. Voraussetzung hierfür war allerdings, daß man mindestens einen Erwachsenen als Haupttäter
präsentieren konnte, der die Jugendlichen verführt hätte.
In dem Chemnitzer Kaplan Franz Schmitt, der in den Jahren 1930 bis 1934 die Bruchsaler
„Neudeutschland"-Gruppe geleitet hatte, meinte man diese Person gefunden zu haben. Die
Gestapo nahm ihn am 27. Juni 1941 in „Schutzhaft" und verschleppte ihn bis zum Prozeßbeginn
am 21.November in ein „Arbeitserziehungslager". Sein autobiografischer Bericht „In den
Händen der Gestapo**, im Anhang des Buches neu abgedruckt, schildert aus der Perspektive
eines unmittelbar betroffenen Zeitzeugen die Schikanen, denen die Häftlinge dort ausgesetzt
waren. Neben Schmitt und Eckert sollte auch der 19jährige Otto Pfau wegen seiner Tätigkeit
als „Gruppenführer" vor Gericht gestellt werden. Es gelang jedoch nicht, den Kriegsfreiwilligen
von der Front weg vor das Landgericht Karlsruhe zu bringen. Der „Hauptbeteiligte" Hans
Bausch, Gründer der „Christopherus"-Gruppe, konnte erst gar nicht unter Anklage gestellt
werden, da er sich bei der Luftwaffe in Norwegen befand und seine Vorgesetzten eine Verschiebung
des Prozesses auf die Nachkriegszeit angeordnet hatten.
Nach diesen „Pannen" im Vorfeld blieb auch das Urteil weit hinter den Erwartungen der
politischen Funktionäre zurück: Schmidt mußte „nur" für 10 Monate ins Gefängnis, Eckert
mußte seine Strafe von acht Monaten nicht einmal ganz absitzen.
Der Autor Otto B. Roegele war selbst Mitglied der Bruchsaler Jugendgruppe. Er fand
ebenso wie einige seiner Freunde Fürsprecher bei der Wehrmacht, ja sogar bei der „Geheimen
Feldpolizei", die ihn vor der Verfolgung bewahrten.
Roegele berichtet detailliert über die in der „Neudeutschland"-Gruppe erfahrenen Behinderungen
seit der „Machtergreifung", die enttäuschten Hoffnungen, mit Abschluß des Reichskonkordats
die Jugendarbeit unbehelligt fortsetzen zu können, die „Untergrundarbeit" in der
„Christopherus"~Gruppe und die abrupte Beendigung derselben. Er ergänzt seinen Bericht
durch zahlreiche Dokumente, die im Zusammenhang mit dem Prozeß von offizieller Seite angefertigt
wurden, Darüber hinaus hat Roegele die Lebensläufe nahezu aller Beteiligter für die
Anmerkungen akribisch recherchiert, weshalb letztere als wesentlicher Bestandteil des Textes
zu bewerten sind.
Das Buch eignet sich nicht nur hervorragend für den Geschichtsunterricht, sondern weist
auch den Weg für weitere Forschungen. Warum, so fragt man sich beispielsweise beim Lesen,
ging der von den Nazis als wegweisend geplante Prozeß vergleichsweise glimpflich aus, mußten
sich die Ankläger gar blamieren, weil das Gericht ihren einzigen Belastungszeugen erst
gar nicht anhören wollte? Wie reagierte die Bruchsaler Öffentlichkeit auf die demonstrative
Festnahme der Jungen, wie die gleichgeschaltete Presse auf den Prozeß?
Roegeles exemplarische Studie steuert ein kleines, dabei um so wertvolleres Puzzleteilchen
für die Erforschung des Widerstandes bei, der sich mitnichten nur auf die bekannten Aktivitäten
um den 20, Juli 1944 konzentrierte, sondern eben auch auf unspektakuläre Weise hier in
der badischen Provinz gelebt wurde. Ute Scherb
247
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2000/0249