Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
121.2002
Seite: 61
(PDF, 49 MB)
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dern auch auffeinander liegend per manstuprationem, nec non virilium suorum
membrorum inter femura alterutrius intrusionem, et per commotionem corporis pru-
rientium semina sua essuderint".19 Die Straßburger Rechtsgelehrten kommentieren
diese unverhoffte Entdeckung mit grimmiger Lakonie, dass damit „leyder mehr alß
zu viel erhellet und erwiesen". Die Juristen befinden sich in der Verlegenheit, nicht
zu wissen, um was für ein Delikt es sich hier handelt, denn die verbotenen fleischlichen
Lüste seien zweierlei, nämlich Masturbation20 und Sodomie21, und sie wüs-
sten nicht, „ob solches garstige, mehr dann viehische Unwesen pro specie mollitiei,
oder vielmehr pro specie criminis sodomitici zuhalten" sei.22 Am Ende entscheiden
sie sich für das Delikt der Masturbation.

Im Gegensatz zu Vater Barthel ist der Sohn Franz nach anfänglichem Leugnen
schnell geständig, behauptet aber, er habe diese Dinge in Unkenntnis ihrer Schändlichkeit
verübt. Dies stellt das größte juristische Problem für die Straßburger Gutachter
im Fall Franz Kühnlin dar: Kann ihm vorsätzliches Handeln nachgewiesen
werden, was Voraussetzung für eine Verurteilung wäre? Zwar hat Georg Schindler
schon 1937 festgestellt, dass Sittlichkeitsverbrechen und deren Bekämpfung in der
spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Strafrechtsgeschichte der Stadt Freiburg
einen breiten Raum einnahmen, und dass die Freiburger keineswegs über das „allgemeine
sittliche Niveau ihrer Zeit"23 hinausgeragt hätten. Bei dem vorliegenden
Fall handelt es sich jedoch um Geschehnisse, die wohl auch den Rahmen frühneuzeitlicher
Unzucht im Breisgau deutlich überschritten haben müssen, wie ein Kommentar
der Straßburger Universitätsjuristen zeigt, wonach ihnen „so thane exorbi-
tantien, zumahlen in dergleichen laster nicht leicht, wo iemahlen, vorkommen".24 Sie
zweifelten, „ob von heyden ärgers was gehöret worden",25 auch wenn man davon
ausgehen kann, dass es sich um übertriebenen Optimismus handelt, wenn behauptet
wird, dass es sich bei „Unkeüschheit" um ein „bey Christen fast wenig" erhörtes Laster
handle.26 Man darf aber davon ausgehen, dass es sich bei den Ausschweifungen
von Barthel und Franz Kühnlin um Extremfälle handelt und der Fall keine allzu weitreichenden
, generellen Rückschlüsse auf die Lebensweise der südwestdeutschen Bevölkerung
des 17. Jahrhunderts erlaubt. Die Bedeutung der analysierten Quellen,
zweier Rechtsgutachten aus dem Jahre 1683, liegt zudem auch ihrer Gattung nach
vielmehr darin, dass an ihnen einige grundlegende Prinzipien des Strafrechts der gemeinrechtlichen
Epoche in den Territorien des Alten Reichs (16.-18. Jahrhundert)
und der Weg der juristischen Erkenntnisfindung nachvollzogen werden können.
Dazu gehören die Praxis des Einholens von Rechtsgutachten, die Lehre vom „dolus"
(Vorsatz), das Problem, ob mit einer „poena ordinaria" oder einer „poena extraordi-
naria" gestraft werden soll, die Hierarchie der Rechtsquellen oder die Rolle der Folter
. Auf diese Punkte soll nun auch im folgenden eingegangen werden.

Aktenversendung und Rechtsgutachten

Der Rat der Stadt Freiburg entschloss sich am 12. März 1683, nachdem ihm alle drei
Fälle dargelegt worden waren, zu den Fällen Franz und Barthel Kühnlin Rechtsgutachten
von Juristen der Universität Straßburg einzuholen. Die jugendlichen Mastur-
bations-Komplizen Franz Kühnlins hingegen sollten, sofern sie nicht mehr als 14

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