Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
121.2002
Seite: 111
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es nicht am 22. Oktober 1940, als die meisten Freiburger Juden nach Gurs in den Pyrenäen
verschleppt wurden. Mit großer Wahrscheinlichkeit geschah es vielmehr im
August 1942, als 35 jüdische Frauen und Männer aus Freiburg nach Theresienstadt
(später von dort nach Auschwitz) deportiert wurden.1

Im Oktober 1942 wurde auch ihr Bruder, der Rechtsanwalt Gustav Herzfeld (geb.
1861 in New York), von Potsdam nach Theresienstadt deportiert. Er ist nicht wiedergekehrt
. Im Gegensatz zu seiner Schwester Eleonore musste er den gelben Stern
tragen.

Ich nehme an, dass im Freiburger Antoniushaus nur die Mutter Oberin wusste,
was zwei Beamte wollten, als sie bei meiner Großmutter erschienen. Meine Tante
hörte von ihrer Mutter, dass eine Nonne vor der Tür stand und für Frau von den Steinen
betete. Ein Gespräch folgenden Inhalts hat laut Aussage ihrer Mutter stattgefunden
: Die Großmutter soll gesagt haben, dass einer ihrer Söhne im Ersten Weltkrieg
gefallen sei, zwei weitere auch eingezogen waren. Ihr verstorbener Mann sei
ein bekannter Wissenschaftler gewesen. Daraufhabe einer der Beamten gesagt: „Das
hilft ihnen gar nichts." Der andere habe erklärt, er wolle deswegen telefonieren und
habe dazu das Zimmer verlassen. Bei seiner Rückkehr habe er gesagt: „Sie dürfen
bleiben. Aber sie können uns glauben, dass diese Aufgabe auch für uns sehr schwer
ist" (d.h. Juden zur Deportation abzuholen). Sie soll darauf - mit großer Zivilcourage
! - erwidert haben: „Ich finde, dass das Leid auf unserer Seite so viel größer ist,
dass ich mit Ihnen unmöglich Mitleid haben kann." Die Beamten haben darauf das
Haus verlassen.

Bei diesem Geschehen mag eine Rolle gespielt haben, dass im Zimmer meiner
Großmutter neben ethnologischen Gegenständen, die ihr Mann mitgebracht hatte,
viele Bilder mit Heiligendarstellungen aus Florenz zu sehen waren sowie eine sehr
große Kopie der „Sixtinischen Madonna" von Raffael über ihrem Bett. Die vermutlich
katholischen Beamten mussten den Eindruck gewinnen, hier eine gute Katholikin
abholen zu müssen.

Im Sommer 1944 wurden die Insassen des Altersheims in die Innenstadt verlegt,
weil die Universitäts-Frauenklinik aus Furcht vor Luftangriffen ins Antoniushaus
ausgelagert wurde. Meine Großmutter kam mit einigen Bewohnerinnen nach
St. Hildegard, einer „Pension für Studierende", damals Schlageterstr. 13-15 (heute
das Altersheim „Katharinenstift", Leopoldring 13, beim Karlsplatz). Die Studentinnen
seien aber nicht mehr drin, schrieb sie an ihre Tochter Marianne Schefold
in Basel.

Beim Angriff auf Freiburg am 27.11.1944 hielten meine Mutter und ich uns in der
„Pension Schlossbergblick" (Ludwigstr. 33 / heute Landratsamt) auf. Wir kamen
dort gerade noch mit dem Leben davon, verloren jedoch alle Habe. Meine Großmutter
verbrachte nach dem Angriff, bei dem das Stift ausbrannte, einige Tage im Keller
des Stifts bzw. in Bunkern und holte sich dort eine Lungenentzündung, die vier
Wochen später zum Tode führte. Wir sahen sie zuletzt am 4. Dezember 1944, einen
Tag vor unserer Abreise nach Berlin, wohin wir sie nicht mitnehmen wollten aus
Angst vor der dortigen besonders starken Judenverfolgung. Sie wohnte dann noch
einige Tage bei Bekannten in der Wiehre, schrieb aber an uns am 7. Dezember, dass
sie die Absicht habe, „nächste Woche in ein Heim außerhalb zu kommen", und dass

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