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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
122.2003
Seite: 74
(PDF, 58 MB)
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lidarität mehr oder weniger trübe Erwerbsquellen ausschöpften. Zeitgenössische Klagen formulieren
bereits das unsägliche Stereotyp vom Ausländer, der dem hart arbeitenden Bauern
und Handwerker allen Wohlstand wegnehme und in die Heimat schaffe. Ähnlich hat Eberhard
Gothein Ende des 19. Jahrhunderts behauptet, die „Italiener", d.h. gut organisierte savoyische
Handelsgesellschaften wie die Perollaz in Waldshut, hätten den ganzen Südschwarzwald in
„eine Art Schuldknechtschaft" gestürzt. Laurence Fontaine hat neuerdings in ihrer Studie über
Wanderkrämer in Europa einen wenig schmeichelhaften Vergleich mit mafiosen Organisationen
der Gegenwart gezogen, hierarchisch gegliedert in Geschäftsleiter, Residenten an wichtigen
Orten und Laufburschen für das tägliche Geschäft.4

Andererseits hat die Einwanderungsforschung die gute Integration meist wohlhabender sa-
voyischer Familien in Südwestdeutschland nachzeichnen können. Die Montfort, die Sautier
und Rosset in Freiburg, die Litschgi in Bad Krozingen und Endingen, die Hugard und Martin
in Staufen - sie alle waren erfolgreiche Händler, die ihre Söhne studieren ließen. Sie stellten
viele teilweise hohe Beamte und zahlreiche Geistliche. Paul Guichonnet hat nach Sichtung der
von Karl Martin seit den 1930er Jahren erhobenen genealogischen Daten die savoyische Einwanderung
als „emigration de qualite" bezeichnet, als Auswanderung qualifizierter und begüterter
Kräfte. Er charakterisiert damit vornehmlich die um 1800 abebbende Auswanderung
wohlhabender Kaufleute, die von der Abwanderung savoyischer Tagelöhner, Knechte und
Mägde nach Lyon und Paris zu unterscheiden ist.5

Heute gilt als gesichert, dass sich die Savoyer - in aller Regel die Männer - mit sehr unterschiedlichen
Voraussetzungen und Perspektiven auf die Wanderschaft begaben. Man unterscheidet
heute zwischen saisonaler (saisonniere), mittelfristiger (temporaire) und definitiver
Auswanderung; andere sprechen von saisonaler Emigration aus gewerblichen Gründen und
krisenbedingten Auswanderungsschüben. Organisatoren der Wanderungsbewegungen waren
lokale Eliten, die über Landbesitz verfügten und ihre Gewinne einerseits im heimatlichen Privatkreditwesen
, andererseits in überregionalen Handel investierten oder feudale Lasten ablösten
. Für das Winterhalbjahr, wenn in den Westalpen kaum landwirtschaftliche Arbeitskräfte
benötigt wurden, ließen sich die Halbwüchsigen und die Knechte von diesen Unternehmer-
Bauern für die harte Wanderung nach Frankreich und Deutschland anheuern, waren sie doch
durch Kredite und Arbeitsaufträge von ihren Arbeitgebern abhängig. Wer bei der Erbteilung
knapper landwirtschaftlicher Nutzflächen leer ausging, sah oft im Handel die ausschließliche
Existenzgrundlage. Damit stellte sich den Betroffenen bald die Frage, für mehrere Jahre oder
gar dauerhaft der Heimat Adieu zu sagen und sich u.a. in deutschen Kommunen anzusiedeln.6

4 Eberhard Gothein: Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Gebiete. Bd 1: Städte- und
Gewerbegeschichte. Straßburg 1892, Zitat S. 49, relativierend S. 740 f.; Laurence Fontaine: History of Pedlars
in Europe. Cambridge/Oxford 1996, insbesondere S. 17-22, 33; siehe auch die Quellenzitate auf der Projektwebsite
(siehe einleitende Anm. *).

5 Für die Erforschung savoyischer Zuwanderung und Integration blieb trotz hervorragender Register und teilweise
detaillierten Angaben zu Eltern und Werdegang erstaunlicherweise ungenutzt: Die Matrikel der Universität Freiburg
i.Br. 1460-1806. Bearb. von Hermann Mayer und Friedrich Schaub. 4 Bde. Freiburg i.Br. 1907-1957. Ansonsten
Martin (wie Anm. 1), passim; Karl Martin: Die Einwanderung aus Savoyen in das Allgäu und in
einige angrenzende Gebiete (Alte Allgäuer Geschlechter XXXII). Kempten 1955; Paul Guichonnet: L'emigration
alpine vers les pays de langue allemande. In : Revue de geographie alpine XXXVI, 1948, S. 533-576, Zitat
S. 571; differenzierend: Raynaud (wie Anm. 3), S. 35 f., 38, 48-66 u.a.O.

6 Krisenbedingte Auswanderungen aus Bergregionen im heutigen Frankreich beschreibt Abel Poitrineau: Remue
d'hommes. Les migrations montagnardes en France au XVII et XVIIIe siecles. Paris 1983, vor allem hinsichtlich
Handwerkern und Unterschichten; Fontaine (wie Anm. 4), S. 9-25, 33, 86 f., 96-104, 115 (Migrationsformen
); Raynaud (wie Anm. 3), S. 36 f.; Laurence Fontaine: Espaces, usages et dynamiques de la dette dans les
hautes vallees dauphinoises (XVIIe-XVIIIe siecles). In: Annales 49, 1994, S. 1375-1391, zu den durch Schuldverschreibungen
und Heiratsallianzen erzeugten Hierarchien und Abhängigkeiten; hervorzuheben schließlich:
Chantal Maistre/Gilbert Maistre: L'Emigration marchande savoyarde aux XVIIe et XVIIIe siecles. L'ex-
emple Nancy-sur-Cluses. Annecy 1986; Dies./Georges Heitz: Colporteurs et marchands savoyards dans l'Eu-
rope des XVIIe et XVIIIe siecles. Annecy 1992.

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