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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
122.2003
Seite: 96
(PDF, 58 MB)
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dem Kehr der Gemeindekasse Ausgaben erspart würden. Dem vorgebrachten Grund, dass sie
ihr bewegliches Hab und Gut im Kehr nicht unterbringen könnten, entgegneten die Gemeindevertreter
, dass beinahe die meisten Bürger ein Zimmer im Haus übrig hätten, in dem die in
den Kehr geschickten Personen mit ihrer beweglichen Habe unterkommen könnten und andere
es vor ihnen auch schon geschafft hätten. Dieser Aussage kann man natürlich auch entnehmen,
dass die in den Kehr geschickten Leute nicht überall ein eigenes Zimmer bekamen. Schließlich
gab es nicht nur große Schwarzwaldhöfe, sondern auch kleine Häuser in der Gemeinde
Steig. Der angeblich unsittliche Lebenswandel der beiden Frauen war ein weiteres Argument
für den Kehr. Außerhalb des Kehr konnte der Kontakt der Frauen zu fremden Männern nicht
beschränkt werden, während die Gemeindevertreter dem Landamt versicherten, dass die
Frauen an dieser Unsittlichkeit gehindert würden, wenn sie ihre Wohnung von Haus zu Haus
nehmen müssten. Der Kehr war also ein Mittel der Sozialkontrolle, um gegen die unterstellte
Unsittlichkeit der Unterschichten vorgehen zu können. Erfolg hatte die Klage der Theresia
Maier nicht, schließlich war sie im Februar 1849 immer noch im Kehr. In diesem Monat trug
der Ratschreiber den Fall der Frauen Hug und Maier wieder in das Gemeindeversammlungsprotokoll
ein. Aus dem Eintrag geht hervor, welche Unsittlichkeit beklagt wurde: Theresia
Maier hatte vier uneheliche Kinder und war selber „Kind" einer ledigen Mutter. Die Sozialkontrolle
hatte anscheinend nicht funktioniert.

Erst im Februar 1849 hatte die Gemeindeversammlung ein Einsehen, dass der Kehr für sechs
Personen eine beschwerliche Sache war. Die Bürger beschlossen, für ein Jahr eine Wohnung
für sie zu mieten und bewilligten dafür 17 Gulden. Neben dem moralischen Argument zur Verhinderung
der Unsittlichkeit bzw. zur Verhinderung unehelichen Nachwuchses war für die Gemeindebürger
ebenso beklagenswert, dass sie diese Kinder aus ihrem Geldbeutel finanzieren
mussten.

Im Ansehen der Gemeindebürger noch eine Stufe tiefer dürfte eine weitere Frau aus der Gemeinde
gestanden sein. Diese ledige Theresia Thoma (1804-1879) hatte 1844 vier minderjährige
uneheliche Kinder zu versorgen. Ein weiteres, schon 1826 geborenes uneheliches Kind,
brauchte nicht mehr versorgt zu werden. 1832 war ihr zweitgeborenes uneheliches Kind verstorben
. Sie hatte also sechs uneheliche Kinder zur Welt gebracht. Über die Sittlichkeit von
Frau Thoma dachten die Gemeindebürger wahrscheinlich dasselbe wie über die von Frau
Maier. Theresia Thoma war jedoch darüber hinaus straffällig geworden und musste eine vierwöchige
Korrektionsstrafe in Freiburg verbüßen. Über das Vergehen schweigt sich das Gemeindeversammlungsprotokoll
aus.8 Ihre Strafe dürfte sie in einer Korrektionsanstalt angetreten
haben. Solche Anstalten waren Arbeitshäuser, die dem Strafvollzug dienten, um Arbeitsscheu
, Bettel und „Nährpflichtversäumnis" strafrechtlich zu bekämpfen. Mit Nährpflicht war
die Pflicht der Eltern gemeint, ihre Kinder zu ernähren.9 Arbeitshäuser sollten die Insassen zur
Arbeitsamkeit erziehen.10 Es wäre durchaus denkbar, dass Theresia Thoma betteln gegangen
war, um sich und ihre Kinder durchzubringen, und dass sie deshalb angezeigt worden war. Die
Korrektionsstrafe bestrafte jedoch nicht nur die Mutter, sondern auch die Gemeinde. Im Strafvollzug
konnte sich die Mutter schließlich nicht um ihre Kinder kümmern. Die Gemeinde beriet
daher im Mai 1844 über die Unterstützung der vier Kinder. Der Bauer des Dreherhofes in
Steig erklärte sich bereit, für 40 Kreuzer täglich die Kinder bei sich aufzunehmen. Obwohl der
Bauer mit der älteren Schwester von Theresia Thoma verheiratet war, ließ er sich die Versorgung
der Kinder von der Gemeinde entlohnen. Die ältere Schwester hatte den Hof geerbt und
Theresia Thoma hatte dort auch mit ihren Kindern gelebt. Wann und warum sie den Hof mit
ihren Kindern verlassen musste steht nicht ganz fest. Vermutlich dürfte der Tod des verwitwe-

8 GAB 578.

9 Sachsse/Tennstedt (wie Anm. 3), S. 249.

10 Willi A. Boelcke: Sozialgeschichte Baden-Württembergs 1800-1989. Stuttgart 1989, S. 160.

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