Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., H 465,da
Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
122.2003
Seite: 119
(PDF, 58 MB)
Bibliographische Information
Startseite des Bandes
Zugehörige Bände
Regionalia

  (z. B.: IV, 145, xii)



Lizenz: Creative Commons - Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen 4.0
Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2003/0119
romanhaft-historisierender Form seines vorgeblichen Protagonisten. Denn eindeutig zu Dortu
bekannt haben sich die Propagandisten der SED nie; zu unkontrolliert von Idee oder Partei
dürfte ihnen dieser Agitator erschienen sein, als dass er zu mehr als verbalen Verbeugungen im
Dienste der Partei einzusetzen gewesen wäre. Selbst bei den Bemühungen der SED, die Volksarmee
in eine kontinuierliche Traditionslinie der Arbeiter- und Bauernmacht zu stellen, fand
Dortu als kleinbürgerlich-revolutionärer Agitator keine Berücksichtigung, obwohl es der historisch
relevanten Bezugspersonen für die vergangenen Jahrhunderte ganz offensichtlich
mangelte.

Im Westen Deutschlands blieb das Erinnern an Max Dortu weitgehend marginal; lediglich
in seinem Schicksalsorte, Freiburg im Breisgau, wird seiner von Zeit zu Zeit erinnert, finden
sich doch dort seine und seiner Eltern sterblichen Reste. Nahe der Stelle seines Todes erhebt
sich noch heute eine neugotische, von seiner Mutter mittels einer Stiftung über die Jahrzehnte
hinweg gepflegten Grabkapelle36 auf dem in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts zu
einem Spielplatze umgestalteten ehemaligen Friedhofe in der Wiehre. Auch in Freiburg hält
ein Straßenname die Erinnerung an den Potsdamer Aufrührer wach. Die gelegentlichen Berichte
in der örtlichen Presse37 anlässlich historischer Jubiläen38 können nicht darüber hinwegtäuschen
, dass auch hier die Erinnerung verblasst, Dortu lediglich noch als Folie für eigene
Selbstdarstellung und Selbstvergewisserung benutzt wird.

Nach der deutschen Wiedervereinigung und der Umgestaltung der gesellschaftlichen Ordnung
in Mitteldeutschland geriet Dortu in seiner Heimatstadt wieder stärker ins Bewusstsein
der Öffentlichkeit. Bereits vor dem Umbruch war in Vorbereitung zum 1000-jährigen Stadtjubiläum
, herausgegeben vom Rate der Stadt Potsdam, ein Beitrag zu dieser Thematik erschienen
; der dann 1993 publizierte offizielle Band zur 1000-Jahrfeier befasste sich ebenfalls mit
dem nun aufgewerteten Freiheitskämpfer als Gegengewicht zu der übermächtigen Aura, Hort
des Militarismus und der Reaktion gewesen zu sein.39 Der 170. Geburtstag 199640 sowie der
150. Todestag im Jahre 1999 boten hierfür den geeigneten Anlass zu einer Dortu-Reanimation.
Beide Potsdamer Tageszeitungen widmeten große Beiträge der Erinnerung an den alten, neuen
Helden, der „Lichtgestalt der Revolution";41 auch eine filmische Reminiszenz nahm sich seiner
an.42 Geschickt steuerten im Nachhinein eine sog. „Kampagne gegen Wehrpflicht und
Zwangsdienste", die Stadtverordnetenfraktion „Die Andere", die PDS-Fraktion und der „Verein
zur Förderung antimilitaristischer Traditionen in der Stadt Potsdam e.V." eine ,Erberezeption
', die das Bild des Potsdamers in der diesen Gruppierungen erwünschten Weise erstrahlen
lassen soll. Nicht nur reisten deren Vertreter am Jahrestage der Erschießung zur Kranzniederlegung
am Grabe nach Freiburg,43 sondern es erschien auch im Auftrage des letzteren Verei-

36 Deisenroth (wie Anm. 9); auch die elterlichen Bemühungen in Gestalt einer Stiftung um eine repräsentative,
die Erinnerung an den Revolutionär wachhaltende Grabstätte und die mit dieser Stiftung verbundenen Auflagen
zeugen von einer geplanten Traditionsbildung über den Tag hinaus.

37 Zuletzt im Erinnerungsjahre des 150. Todestages 1999 in der „Badischen Zeitung" vom 30. und 31.VII.1999;
Presse- und Informationsamt der Stadt Freiburg im Breisgau vom 29.VII.1999.

38 Von den anlässlich der 150-Jahrfeier der Revolution 1998/99 erschienenen Veröffentlichungen würdigen zwei
auch den Potsdamer Revolutionär: Wolfgang Duffner: Der Traum der Helden. 12 Nachrufe auf im Sommer
und Herbst 1849 hingerichtete Kämpfer der Badischen Revolution. Lahr 1997, S. 26-37; Ulrike Rödling, Heinz
Siebold: Der Münstergeneral. Menschen und Ereignisse. Freiburg in der Badischen Revolution 1848/49. Lahr
1998, S. 151-155 und S. 180 f.

39 Literaturangaben bei Deisenroth (wie Anm. 9), S. 154 f., Anm. 8.

40 „Märkische Allgemeine Zeitung" [MAZ] vom 4.VII.1996 (Deisenroth).

41 „Potsdamer Neueste Nachrichten" [PNN] vom 16.VII.1999, 22.VII.1999, 29.VII. 1999, 30.VII.1999,
2.VIII.1999, 11.VIII. 1999; MAZ v. 29.VII.1999, 31 .VII./1 .VIII. 1999, 2.VIII.1999, 7.IX.1999.

42 „1848 und Potsdam. In memoriam Max Dortu". Regie: Hans Kratzert u. Heinz Kuhnert, Ostdeutscher Rundfunk
Brandenburg im Auftrag der Landeszentralen für Politische Bildung Brandenburg u. Baden-Württemberg, Potsdam
1999, Produktionsfirma Sanssouci - Film, Potsdam, 27 min.

43 Eine der Kranzschleifen trug die bemerkenswerte Aufschrift: „Der Kampf geht weiter!"

119


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2003/0119