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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
122.2003
Seite: 170
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Asketen und grosse(n) Tyrann, der sie immer (habe) leiten und fuhren wollen, sich aber gleichzeitig
durch Integrität, Reinheit, Ehrenhaftigkeit und die unermüdliche Erfüllung starken
Pflichtgefühl es) ausgezeichnet habe.6 Das Verantwortungsgefühl der Mutter hingegen sei weniger
tief ausgeprägt gewesen, sie habe sich stattdessen von ihrer harmlosen Heiterkeit u. Liebenswürdigkeit
leiten lassen. Ihrer virtuosen Geschicklichkeit im Umgang mit Menschen, auch
und gerade mit ihrem Ehemann, sei es zu verdanken gewesen, dass Olga Fajans eine so glückliche
Jugendzeit habe erleben dürfen.7

Innerhalb der Familie genoss sie einen Sonderstatus, denn sie konnte aufgrund einer früh
diagnostizierten Lungenspitzenajfection keine Schule besuchen und erhielt im Alter zwischen
12 und 14 Jahren zusammen mit ihrer Freundin Becky Baum Privatstunden. Das Programm
umfasste neben Elementarunterricht die Fächer Englisch, Französisch, Klavier, Literatur und
Geschichte. Für die Übungen in den beiden letztgenannten Fächern war ein freireligiöser Prediger
angestellt worden, der zwar unsystematisch unterrichtet, dabei aber jede originelle Denktätigkeit
unterstützt habe. Bei diesem typischen Programm für höhere Töchter blieben die Naturwissenschaften
weitgehend außen vor, und so fiel die Rückschau auf das Gelernte nicht gerade
positiv aus: Alles in allem war mein Unterricht im Vergleich zu einem geordneten
Schulunterricht sehr unsystematisch, lückenhaft, was sich später bei m(einem) Studium oft unangenehm
bemerkbar machte.8

Mit 22 Jahren hatte sie das Leben als wohlbehütete junge Dame satt. Sie beschloss, für ein
Jahr nach England zu ziehen und sich dort als Gouvernante zu verdingen. Hier endlich konnte
sie sich der strengen Aufsicht ihres Vaters entziehen. Diese Freiheit genoss sie auch während
eines Paris-Aufenthaltes in den Osterferien, wo ihre gut fünf Jahre ältere Cousine Julie Wolff,
die sich später in Anlehnung an ihren Geburtsort Thorn Julie Wolfthorn nennen sollte, an der
Privatakademie Colarossi Malerei studierte.9 Sie dürfte es gewesen sein, die Olga Fajans mit
ihrer Paris-Begeisterung ansteckte: Immer ist Frühling in Paris; (...) oben auf dem Omnibus
sitzen und durch die Stadt fahren ist wie Champagner. (...) Welche Bilder.10 Es ist nicht auszuschließen
, dass die heute von der Kunstgeschichte nahezu vergessene, 1944 im KZ The-
resienstadt gestorbene Künstlerin Julie Wolfthorn ihre Cousine darin bestärkt hat, bezüglich
ihrer Berufswahl einen eigenen, unkonventionellen Weg einzuschlagen. Schließlich hatte auch
Wolfthorn dies getan, mehr noch: Sie verabscheute die damals gängige Salon-Malerei und
gehörte 1898 als eine der wenigen Frauen zu den Gründungsmitgliedern der Berliner Seces-
sion, die sich gegen den Konservatismus der kaiserlichen Kulturpolitik zur Wehr setzte.11

Olga Fajans' Erwartung freilich, ihr Vater würde nach ihrer Rückkehr akzeptieren, dass seine
inzwischen 23-jährige Tochter nunmehr erwachsen sei und über ihr Leben selbst bestimmen
wollte, sollte sich nicht erfüllen. Vergebens hoffte sie, von jetzt an einen regelmäßigen Wechsel
zu erhalten - genauso wie ihr jüngerer Bruder, der in Königsberg studierte und vom Vater
finanziell unterstützt wurde. Um auf keinen Fall wieder in finanzielle Abhängigkeit zu geraten
, bot sie in der Danziger Tageszeitung englischen Sprachunterricht an. Dem Vater war dies

6 Hempel (wie Anm. 3), S. 4 und S. 59.

7 Ebd., S. 4.

s Ebd., S. 44 ff., Zitate S. 46 und S. 48.

9 Vgl. Gill (wie Anm. 4), S. 13; Beate Spitzmüller: Julie Wolfthorn (1864-1944). In: Denn da ist nichts mehr,
wie es die Natur gewollt. Portraits von Künstlerinnen und Schriftstellerinnen um 1900. Hg. von Britta Jürgs.
Berlin 2001, S. 248-259, hier S. 250.

10 Julie Wolfthorn veröffentlichte ihre Paris-Eindrücke 1927 in der Zeitschrift Die Künstlerselbsthilfe, hier zit.
nach: Beate Spitzmüller: Julie Wolfthorn. In: Aufbrüche. Frauengeschichte(n) aus Tiergarten 1850-1950. Hg.
vom Bezirksamt Tiergarten, Kulturamt. Berlin 1999, S. 32 f., hier S. 32.

11 Vgl. Spitzmüller (wie Anm. 9), S. 251 f. Wolfthorn arbeitete damals nicht nur als gefragte Porträtmalerin, sondern
auch als Werbegrafikerin, entwarf Plakate für den Vorwärts und verdingte sich von 1898 bis 1904 als Mitarbeiterin
bei der Zeitschrift Jugend. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Juli_Wolfthorn; http://www.dhm.de/
ausstellungen/kkv/Kuenstlerbiographie 1 .htm#wolfthorn.

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