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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
122.2003
Seite: 176
(PDF, 58 MB)
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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/schauinsland2003/0176
Diese Erfahrungen decken sich mit zahlreichen anderen autobiografischen Berichten von
Frauen, die um die Jahrhundertwende die Freiburger Hochschule besuchten.40 An einen deutlich
raueren Umgangston mussten sich viele Frauen jedoch gewöhnen, wenn sie Freiburg verließen
und in einer anderen Stadt weiterstudierten. So erging es auch Olga Fajans, als sie 1899
nach bestandenem Physikum nach Breslau wechselte. Auch hier wagte zwar niemand, ihr den
Zugang zu den Veranstaltungen zu verwehren. Es kam jedoch durchaus vor, dass ein Gynäkologe
sich weigerte, seine Patientinnen in ihrem Beisein zu untersuchen - mit der aberwitzigen
Begründung, diese würden sich vor ihr fürchten.41

Vorerst aber genoss sie das Freiburger Studentinnenleben in vollen Zügen. Sehr bald schon
verließ sie die von Keibel empfohlene Pension und zog in ein Rebhaus, das weit über der Stadt
gelegen und nur schlecht zu erreichen war.42 Um die große Distanz leichter zu überwinden,
legte sich Olga Fajans ein Fahrrad zu, was auch damals für weibl(iche) Wesen fast so neu war,
wie studieren. Während sich damals andernorts radfahrende Frauen wüste Beschimpfungen
gefallen lassen mussten, scheint gegenüber Olga Fajans der allgemeine Respekt weiter angestiegen
zu sein, denn sie erhielt den Ehrennamen ,Strampel-Olga'43

Selbstverständlich war ihre Wahrnehmung subjektiv und selektiv, und auch der lange Zeitraum
zwischen Erleben und Niederschreiben dürfte zur positiven Verzerrung beigetragen haben
. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass ihr negative Erfahrungen im Gedächtnis geblieben
wären; immerhin konnte sie solche aus ihrer Breslauer Zeit detailliert wiedergeben. Dass
ihr Bericht dennoch gelegentlich von der Realität abweicht, zeigt folgende Passage: Ich hatte
eine etwas seltsame Stellung an der Universität. Als einziges weibl(iches) Wesen an d(er) Universität
studierte ich also von 1897-1899 in Frbg.44 Hier irrte sich Olga Fajans. Selbstverständlich
war die Hörerinnenfrequenz im Sommersemester 1897 verschwindend gering, jedoch
lässt sich eindeutig belegen, dass sie nicht als einzige Frau in den Hörsälen saß. So besuchte
sie in ihrem ersten Semester die Zoologie-Vorlesung bei August Weismann zusammen
mit Julie Platt und Fanny Moser.45 Während erstere, eine Amerikanerin, bereits am Ende ihres
Studiums angelangt war und im Folgejahr als dritte Frau in Freiburg promoviert wurde - bei
Ausländerinnen war die Universität auffallend großzügig, wenn es um derartige Qualifikationen
ging -,46 stand die 1872 in Badenweiler geborene Fanny Moser ähnlich wie Olga Fajans
am Beginn ihrer Hochschulausbildung. Die später weltweit anerkannte Zoologin und Okkultismus
-Forscherin allerdings verfügte nicht über das deutsche Abitur, sondern hatte 1895 als
Externe am Knabengymnasium in Lausanne die Matura bestanden.47 Auch sie hatte in der Retrospektive
Schwierigkeiten mit der Realitäts-Wahrnehmung: Vielleicht als 1. Frau regelrecht
in Deutschland immatrikuliert, was nachher große Revolte im Senat gegeben hat, dass mir fast
mein Büchlein entzogen worden wäre.4* Die Revolte im Senat, so sie überhaupt stattgefunden

40 Vgl. Scherb (wie Anm. 1), S. 70 und S. 74.

41 Vgl. Hempel (wie Anm. 3), S. 85.

42 Ebd., S. 75.

43 Ebd., S. 75 (beide Zitate). Vgl. Gudrun Maierhof/Katinka Schröder: Sie radeln wie ein Mann, Madame. Als
die Frauen das Rad eroberten. Dortmund 21993, S. 90 f.

44 Hempel (wie Anm. 3), S. 74.

45 Vgl. Zahlungsliste der Zuhörer des Herrn Prof. Weismann pro Sommersemester 1897. In: UAF, B 17/28.

46 Julie B. Platt, die auf der Zahlungsliste Weismann versehentlich als Julia Platt erscheint, wurde nicht von der
Medizinischen, sondern von der Philosophischen Fakultät promoviert. Ihre Doktorväter Wiedersheim, Keibel
und Gaupp hingegen waren ausnahmslos Mediziner. In ihrer in englischer Sprache verfassten Dissertation hatte
sie sich mit einer dermatologischen Fragestellung auseinander gesetzt. Vgl. Ernst Theodor Nauck: Das
Frauenstudium an der Universität Freiburg i.Br. (Beiträge zur Freiburger Wissenschafts- und Universitätsgeschichte
3). Freiburg 1953, S. 31 und S. 62; Scherb (wie Anm. 1), S. 38 f.

47 Vgl. Oscar Wanner: Fanny Moser. In: Schaffhauser Beiträge zur Geschichte 58, 1981, S. 163-172, hier S. 163
f. und S. 166 f.

48 Zit. nach: Eberhard Bauer: Ein noch nicht publizierter Brief Sigmund Freuds über Mesmerismus. In: Freiburger
Universitätsblätter 93, 1986, S. 93-110, hier S. 99.

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