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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
122.2003
Seite: 182
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langen sollte.77 Er bot ihr an, sie könne die Verzettelung einiger lateinischer und griechischer
Bücher vornehmen: Ohne eine auch nur halbwegs klare Idee zu haben, was das bedeutete,
schlug ich auch hier sofort ein, nach m(einem) Grundsatz: ,was ein andrer kann, kann ich
auch'. Die Aufgabe war recht stupide, denn sie hatte Stunde um Stunde einzelne Wörter auszuschneiden
und nach vorgegebenen Kriterien zu sortieren - eine Arbeit, die ihr damals wie
auch noch heute als ganz sinnlos erschien.1^

Nach Erledigung dieses Jobs stand sie wieder einmal auf der Straße. Erneut hatte sie Glück:
Sie traf zufällig ihren ersten Arbeitgeber, meinen lieben, gütigen alten Herrn Hugo Rosenberg,
der gerade auf der Suche nach einer Mitarbeiterin für seine Firmenregistratur war. Hier ordnete
sie die Korrespondenz mit Ärzten aus aller Welt, und bald konnte sie ihren Einsatzbereich
erweitern: Da ich allmählich in der Firma als polyglott galt, wurden mir auch alle fremdsprachigen
Briefe zur Uebersetzung vertrauensvoll übergeben.19 Das Arbeitsklima in der
Firma Rosenberg war offenbar sehr familiär und angenehm. Dies geht nicht nur aus Hempels
Aufzeichnungen hervor, sondern ist auch in einem Fotoalbum dokumentiert, das sich durch
Zufall erhalten hat. Hier sind zum einen die Beschäftigten in ihren Abteilungen bei der Arbeit
abgelichtet, zum andern zeigt es auch die gesamte Belegschaft in fröhlicher Runde anlässlich
des 25-jährigen Geschäftsjubiläums im Januar oder der Feier zu Hugo Rosenbergs 60. Geburtstag
im September 1928.80

Folgt man Olga Hempels Aufzeichnungen, so änderte sich das angenehme Betriebsklima
nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten nur unwesentlich: Rosenbergs, die Besitzer
, siedelten nach Hitlers Machtergreifung nach Basel über u(nd) ließen als Chef Dr. Kaiser
, ihren arischen Prokuristen zurück. Danach war ich d(ie) einzige jüdische Angestellte unter
den etwa 70 , Ariern', die mir alle sehr wohl wollten u(nd) mich mit Achtung und Liebe behandelten
.^1 Obgleich ihre gemäss NS-Definition „nicht arischen" Schwiegersöhne Günther
Zuntz (er war seit 1925 mit Eleonore verheiratet) und Achim Leppmann (ihn hatte Marianne
1926 geehelicht) schon bald ihre Arbeit verloren und das Land verlassen mussten, da sie in
Deutschland keine Möglichkeit mehr sahen, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, erkannte
Olga Hempel offenbar nicht die Gefahr, die von den „braunen Herren" ausging.82

Im persönlichen Umgang schienen ihr die Nationalsozialisten schlicht unangenehme Menschen
von geringer Bildung mit wenig ausgeprägtem Selbstbewusstsein zu sein, gegenüber denen
man nur resolut auftreten musste. Solchen Personen war Olga Hempel immer wieder begegnet
, wie z.B. frauenfeindlichen Medizinern in diversen Krankenhäusern, die sie als Ärztin
nicht akzeptieren wollten. Stets war es ihr gelungen, sich gegen solche Menschen durchzusetzen
. So auch nach 1933, als die Firma Rosenberg nicht länger nazifrei bleiben konnte: In ihrer
nonchalanten Art notierte Hempel: Natürlich hatten wir den üblichen officiellen Spion, einen
,Betriebszellenobmann', wie die Sorte so schön hieß. (...) Dieser (...) Mensch mit Namen Strub,
der bis zur Hitlerzeit äusserst ergeben, fast unterwürfig vor den jüd(ischen) Chefs, u(nd)
ebenso sehr höflich zu dem meist einer gesellschaftlich höheren Schicht als er angehörenden

77 Vgl. Peter Landau: Juristen jüdischer Herkunft im Kaiserreich und in der Weimarer Republik. In: Deutsche Juristen
jüdischer Herkunft. Hg. von Helmut Heinrichs u.a. München 1993, S. 133-213, hier S. 164.

78 Hempel (wie Anm. 3), S. 168 f. Olga Hempel pflegte damals viele Kontakte zu Angehörigen der Universität, die
nicht zuletzt über ihre Pensionsgäste zustande gekommen waren. Ernst Levy scheint selbständigen Frauen gegenüber
sehr aufgeschlossen gewesen zu sein. So ließ er in den 20er-Jahren seine Tochter Jura studieren, obgleich
Frauen die Juristinnenlaufbahn in Deutschland überhaupt erst seit 1922 offen stand. Brigitte Levy emigrierte
schon 1933, und es gelang ihr, sich in den USA als Expertin für Familienrecht zu profilieren. Vgl. Ernst
C. Stiefel/Frank Mecklenburg: Deutsche Juristen im amerikanischen Exil (1933-1950). Tübingen 1991, S.
56 und S. 128.

79 Hempel (wie Anm. 3), S. 169 ff., Zitate S. 169 und S. 171.
»o Vgl. StadtAF, M 7090/12.

81 Hempel (wie Anm. 3), S. 171.

82 Vgl. Gill (wie Anm. 4), S. 40.

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