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Schau-ins-Land: Jahresheft des Breisgau-Geschichtsvereins Schauinsland
122.2003
Seite: 272
(PDF, 58 MB)
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Gelände des heutigen Konvikts schon lange nicht mehr existiert. Um so erfreulicher ist es, mit der Dissertation
Hillard von Thiessens nun eine Publikation vorliegen zu haben, welche die spezifische Bedeutung
der Kapuziner für die hiesige Lokalgeschichte detailliert herausarbeitet und so an einen Orden erinnert
, dessen Wirken die Religiosität der Freiburger des 17. und 18. Jahrhunderts nachhaltig prägte.

Die Studie von Thiessens, soviel sei vorangestellt, vermag einerseits auf der Höhe der Forschung zu
argumentieren und weiterführende Erkenntnisse mit der gebotenen wissenschaftlichen Seriosität zu vermitteln
, andererseits aber auch ein anschauliches Panorama alltagsgeschichtlicher Religiosität kenntnisreich
zu entfalten. Der Autor sieht dabei das Wirken der Kapuziner als Teil des „Konfessionalisierungs"-
Prozesses, also jener nachreformatorischen Phase, welche durch Dogmatisierung, Abgrenzung, innere
Mission und moralisch-theologische Disziplinierung der Gläubigen gekennzeichnet war. Dem Orden
schreibt er in diesem Vermittlungsprozess eine entscheidende Schlüsselrolle zu. Basierend auf Forschungsergebnissen
seines Doktorvaters Wolfgang Reinhard betont von Thiessen dabei, dass die von der
Kirche geforderten strengeren Normen nicht einfach von oben dekretiert und durchgesetzt werden konnten
. Vielmehr ist für ihn die Konfessionalisierung stets ein Aushandlungsprozess zwischen der Kirche und
den Herrschenden auf der einen und den Gläubigen auf der anderen Seite. Das Volk näherte sich den Angeboten
der Seelsorge durch „Aneignung", also mit Umwandlung, Modifikation und natürlich auch mit
partieller Ablehnung. Dabei wurde die Kirche selbst verändert, die auf Dauer nur erfolgreich sein konnte
(und kann), wenn sie auf die Aneignungsbedürfnisse der Laien einging (und eingeht). Konfessionalisierung
ist unter dieser Perspektive ein kultureller Prozess - eine „longue duree" im Sinne Fernand Braudels
-, der bis zur Aufklärung in der Mitte des 18. Jahrhunderts reicht. Daraus ergab sich auch der zeitliche
Rahmen der Untersuchung, der, beginnend mit der 1599 erfolgten Gründung des Freiburger Klosters
, eine Spanne von 150 Jahren umfasst.

Um das Hauptproblem lokalgeschichtlicher Untersuchungen, die vorschnelle Übertragung von Untersuchungsergebnissen
der Mikro- auf die Makroebene, zu umgehen, bedient sich von Thiessen der Methode
der vergleichenden Fallstudie: So wählte er bewusst zwei Städte aus, in denen die Kapuziner ganz
unterschiedliche Bedingungen vorfanden: Freiburg als kleine katholische, vorderösterreichische Landstadt
und Hildesheim als größere protestantische, gleichwohl fürstbischöfliche Hauptstadt. Darüber hinaus
kontrastiert der Autor die Kapuziner mit einer vergleichbaren „Sozialgruppe", dem Orden der Jesuiten
, der wie sie in beiden Städten präsent war.

Nach einer gerafften Darstellung der Geschichte der beiden Städte und ihrer Klöster untersucht von
Thiessen zunächst das Verhältnis der weltlichen Obrigkeiten zu den beiden Klöstern. Dabei kommt er zu
dem Ergebnis, dass in Freiburg die Kapuziner zusammen mit dem Stadtrat nach dem Dreißigjährigen
Krieg eine Wiederbelebung der „kommunalen Religiosität" erreichten. Leitmotiv des Bestrebens war dabei
auch, zumindest in diesem Bereich eine gewisse Autonomie gegenüber der habsburgischen Herrschaft
zu wahren. Als probates Mittel dienten dazu unter anderem kleinere Wallfahrtskapellen, etwa die Loretto-
kapelle. Im Gegensatz zu den Jesuiten, die wenig Verständnis für kommunale Eigenarten zeigten, zogen
hier Kloster und Kommune an einem Strang.

Im zweiten Teil der Studie fragt der Autor dann nach den Gründen für die Wirkung der Kapuziner am
Beispiel von Predigt, Christenlehre, innerer Mission und Beichte, wobei auch die Untersuchung der ländlichen
Seelsorge im Umfeld der Städte nicht zu kurz kommt. Es gelingt ihm hier, ein beeindruckend dichtes
Bild der Beziehungen zwischen den Kapuzinern und den Gläubigen zu zeichnen. Dreh- und Angelpunkt
aller seelsorgerischen Erfolge war stets die besondere Glaubwürdigkeit der Kapuziner. Die Gründe
dafür sind mannigfaltig, vor allem aber in einer gewissen „Randständigkeit" des Ordenslebens zu suchen:
Zunächst waren die Kapuziner als Krankenpfleger - die selbst während schwerer Pestepidemien nicht das
Weite suchten -, als Militär- und Gefängnisseelsorger und allgemeine Krisenbewältiger in Alltagsbereichen
tätig, die von anderen Geistlichen gerne gemieden wurden. Sodann punkteten die Mönche mit ihrer
persönlichen Anspruchslosigkeit und der relativ konsequent durchgehaltenen Besitzlosigkeit des Ordens.
Auch die gering ausgeprägte Neigung, sich in die Geschäfte der „Welt" einzumischen, d.h. an politischen
und familiären Fraktionskämpfen teilzunehmen, erhöhte ihr Ansehen. Schließlich trug der kontemplative
Teil des Ordenslebens wesentlich dazu bei, dass den Kapuzinern metaphysische „Sakraleigenschaften"
zugesprochen wurden. Der Orden untermauerte diese Wahrnehmung bewusst durch die Propagierung des
Wirkens wundertätiger Kapuziner und Heiliger. Bemerkenswert ist insbesondere die Vereinnahmung und
Repopularisierung eines franziskanischen Heiligen, des Antonius von Padua, der von den Gläubigen
gerne angerufen wurde, um gestohlene oder verlorene Gegenstände wiederzuerlangen. Die Kapuziner

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